Auf Richtig Spielleiten! hat Karsten einen interessanten Artikel zum Spielen von „bösen Gruppen“ im Rahmen des Karnevals der Rollenspielblogs zum Thema „Moral im Rollenspiel“ veröffentlicht. Hier – als mein Einstieg in die für mich mit nur einem Artikel noch lange nicht ausgereizte Thematik – eine Art „Antwort“ auf einen mir besonders aufgefallenen Punkt seines Artikels.
Was ist Böse? – Der Einstieg ins Moral-Thema
Karsten schrieb über Ansätze böse Charaktere miteinander halbwegs konstruktiv und verträglich agieren zu lassen:
Ansätze, die mir einfallen sind:
- Chars gehören zu einem Stamm/Dorf/Land/Familie etc.
- Gemeinsame Aufgabe
- Geas
- Regelmechaniken (wie etwa das bekannte Lawful Evil aus D&D)
- Absprache auf der Metaebene
Hier sehe ich eine Fehleinschätzung bezüglich der Alignments/Gesinnungen in AD&D.
Gesinnungen stellen KEINE Regelmechanik dar!
Bei King Arthur Pendragon, ja, DA gibt es tatsächlich regeltechnische Umsetzungen von gesinnungsrelevanten Eigenschaft(spaar)en, aber NICHT bei D&D.
Bei D&D sind Gesinnungen eine grobe Kategorisierung des MORALISCHEN WERTEBILDES des Charakters!
Die einzelnen Ansätze
Wenn man die obige Liste der einzelne Ansätze anschaut, sind ÜBERALL die Gesinnungen von ESSENTIELLER Bedeutung:
Gemeinsame Herkunft
Jemand, dem mehr an individueller Freiheit, Ungebundenheit und individueller Verantwortung liegt, der läßt sich von so etwas wie der gemeinsamen Herkunft sicher NICHT zur Zusammenarbeit bewegen, während jemand, dem Traditionen, Blutsverwandtschaft, National-/Regional-/(Fremd-)Rassen-Stolz etwas bedeutet, sich oft allein aufgrund der gemeinsamen Herkunft zum Tolerieren von sonstigen Gegensätzen bei seinen Mitcharakteren bewegen läßt. – Ob eine gemeinsame Herkunft Charaktere zusammenwirken läßt (übrigens UNABHÄNGIG davon, ob es „böse“ Charaktere sind!), ist eine Frage der individuellen Charakter-MORAL (in D&D also der Gesinnung des Charakters).
Gemeinsame Aufgabe
Jemand, der die Autorität anerkennt, welche diese Aufgabe gestellt hat, wird danach streben sie dem Sinne nach auszuführen, aber jemand, dem die Autorität zuwider ist oder der sie einfach als niemals in einer Position IHM eine Aufgabe zu stellen, akzeptieren kann, der wird die Aufgabe bestenfalls dem Worte nach bearbeiten oder gar – um es der „anmaßenden Autorität“ zu zeigen – aktiv sabotieren. – Ob eine gemeinsame Aufgabe Charaktere zusammenwirken läßt (übrigens UNABHÄNGIG davon, ob es „böse“ Charaktere sind!), ist eine Frage der individuellen Charakter-MORAL (in D&D also der Gesinnung des Charakters).
Geas (oder jede andere Art übernatürlicher in-game Zwangsmittel)
Jemand, der den Sinn der durch einen Geas oder ähnlichen übernatürlichen ZWANG erwirkten Zusammenarbeit nicht einsieht, der wird versuchen innerhalb der Grenzen dieses Zwangs seine Freiheit zu nutzen, auch zum Sabotieren dessen, was der Sinn des Geas gewesen sein mag. Jemand, der den Sinn der Aufgabe und der Zusammenarbeit einsieht, der BRAUCHT KEINEN ZWANG, um zusammenzuarbeiten. – Somit bewirkt ein in-game-Zwangsmittel wie ein Geas die unwillige Kooperation von Leuten, die eh nicht kooperieren würden und alles tun werden die Aufgabe zu sabotieren , sowie eine MISSHANDLUNG derer, die eh freiwillig kooperieren würden und so ohne Not und UNGERECHTERWEISE unter Zwang gesetzt wurden. – Resultat: Die gesamte Gruppe ist eine der OPFER! Man hat JEDEN zu einem Opfer gemacht. Und das VERDIRBT das Gruppenklima nachhaltiger als selbst ein einziger unwilliger Saboteur es vermag. – Ob sich ein Charakter mit dieser Opferrolle zufrieden gibt, ist eine Frage der individuellen Charakter-MORAL (in D&D also der Gesinnung des Charakters).
Regelmechaniken
Hier sind ausdrücklich NICHT die Gesinnungen von D&D gemeint, da diese KEINE Regelmechanik darstellen, sondern mechaniklose Charaktermoralkategorisierungen. – Mechaniken wie sie z.B. in King Arthur Pendragon sehr fein granular vorkommen oder in vielen Vorteil/Nachteil-Systemen unterschiedlich fein modelliert und mit regeltechnischen Konsequenzen versehen werden, sind DIREKTE Modellierungen der individuelllen Charakter-MORAL (in D&D gibt es nur die mechaniklose Gesinnung). Moral-Regeln werden im Spiel direkt angewandt und haben spürbare Konsequenzen. Somit ist hier regeltechnisch die „Simulation“ eines fiktiven Charakter-Moralstandpunktes umgesetzt. – Moral-Regeln sind der sicherste Weg die Charakter-Moralvorstellungen auch im Spiel tatsächlich unter spielerisch fairen und verläßlichen Bedingungen einzubringen. – Ob ein Regelsystem Moral-Regeln haben sollte oder nicht, das ist eine Frage der individuellen Spieleentwickler-MORAL (also der Gesinnung des Spieleentwicklers). Manche Spieleentwickler sind „moralisch blind“ und haben keinerlei Gespür für Moral, moralische Konflikte, oder die Bedeutung der Moral für eine stimmige Charakter-Modellierung – von diesen bekommt man nur Regelsysteme, die „Moral-Krüppel“-Charaktere erschaffen lassen. Somit ist das Einschließen von Moral-Regeln ein Maß für die charakterliche Reife des Spieleentwicklers und eine kritische Indikatoreigenschaft, an der man die Vollständigkeit von Regelsystemen bewerten kann. – Leider hiift aber eine noch so findige Moral-Regelmechanik NICHT dabei eine Gruppe „böser“ Charaktere zusammenarbeiten zu lassen, da deren individuelle Charakter-MORAL (in D&D die Gesinnungen) hier eben regeltechnisch Konflikte und Unvereinbarkeiten bedingen.
Absprache auf der Metaebene
Reine Einigung zwischen den Spielern, der soziale Vertrag zwischen den Spielenden doch miteinander zu kooperieren, auch wenn die Charaktere eigentlich auseinander streben würden, wenn sie korrekt ausgespielt werden würden. Das kann für eine kurze Weile funktionieren, jedoch wird hier der ZWANG auf der Ebene der SPIELER ausgeübt. Die Charaktere sind im Grundsatz als „böse“ und damit – je nach individueller Ausrichtung des „Bösen“ im Rahmen der individuellen Charakter-MORAL – eigentlich bei „korrektem“ Ausspielen der Charaktere NICHT kooperationsgeeignet. Nun wird zwischen den Spielenden vereinbart, daß sie ihre Charaktere SCHLECHTER ausspielen sollen, als sie es könnten, nur damit sich die als vollkommen kooperationsuntauglich entworfenen Asozialen-SCs nicht gleich gegenseitig auslöschen. – Derartiges VERBIEGEN der Spieler UND ihrer Charaktere führt eine solche STÖRUNG im Gruppen-Klima ein, daß die zum LUSCHENSPIEL gezwungenen Spieler ständig auf der Meta-Ebene Acht geben, ja nicht die Absprache mit den anderen Spielenden zu brechen. Durch diese Beschränkung ihrer Spielfreiheit WIDER das natürliche Streben einen Charakter mit all seinen Charakterzügen voll auszuspielen, ist der jeweilige Spieler ständig aus dem Charakterspiel gerissen und sein eigener „Gedankenpolizist“. – Manche Spieler kommen damit besser klar als andere. – Das ist eine Frage der SPIELER-MORAL, somit der persönlichen, individuellen Moralvorstellungen der jeweiligen Spieler bezüglich des Miteinanderspielens. Wem das konsequente Ausspielen auch noch so unverträglicher Charaktere einen höheren Wert darstellt, als das Pflegen einer „Gruppenharmonie“, für den ist das Einhalten solcher Absprachen moralisch weniger wert als jemand, dem an einem maximal-harmonischen Umgang mit anderen Spielern gelegen ist und bei dem die Simulation der modellierten Charaktere hinter der gemeinsamen Spielspaßpflege zurücksteht. – Für das gemeinsame Spielen von bösen Charakteren ist deren „Herunterspielen“ aufgrund einer äußeren, out-game Beschränkung der Spieler am ehesten der geeignete Weg. Der Nachteil dabei ist jedoch, daß man dann KEINE BÖSEN Charaktere mehr spielen wird, sondern nur „Konsens-LUSCHEN“.
Die im Blog-Artikel aufgeführten Ansätze ein gemeinsames, gruppenverträgliches Spiel von bösen Charakteren zu ermöglichen, sind leider ALLE NICHT tauglich.
Entweder hängt bei den Ansätzen das Einhalten der Randbedingungen an den im Charakter angelegten Moral-Vorstellungen, oder es wird per externem Zwang übergestülpt und stört dadurch das gesamte Spielgefüge, oder es ist regeltechnisch eingebaut, womit allein durch die faire, regelgerechte Anwendung der Mechaniken die Gruppe auseinanderstreben wird, oder es werden out-game Absprachen getroffen, die letztlich die Bösen zu Nerf-Bösen machen, zu LUSCHEN-Charakteren, die nie wirklich regelgerecht, settinggerecht, charaktergerecht ausgespielt werden dürfen, damit die Gruppenharmonie gewahrt bleibt.
So funktioniert das ALLES NICHT.
Neuer Ansatz – Neue Frage
Das einzige, was wirklich funktioniert, sind GEMEINSAME MORAL-VORSTELLUNGEN der Charaktere. Zumindest im Grundsatz müssen diese in dieselbe (nicht diegleiche, sondern DIESELBE) Richtung weisen. Dann achten alle Charaktere gleichermaßen In-Game-Gründe wie Herkunft, Autoritäten, Aufgaben und dann unterstützen die Moral-Regeln auch das Ausspielen dieser identischen Moral-Grundlagen im In-Game-Alltag der Charaktere. Und dann braucht man auch keine Absprachen zum Nerfen der Charaktere, sondern dann paßt einfach alles.
Die Frage ist nun nur noch: WAS IST BÖSE?
Denn auch die Guten haben ja gemeinsame Moral-Vorstellungen oder differierende Moral-Vorstellungen. In D&D führen auch Lawful-Good-Herrscher gegeneinander Kriege! Es gibt somit hier auch trotz grundlegend gleicher Ausrichtung ausreichend Spielraum für Differenzen, daß Lawful-Good eben nicht die Disneyland-Heile-Welt-Zuckrigkeit darstellt, sondern eben eine MENGE unterschiedlicher, aber in etwa in gleiche Richtung gehender moralischer Ausrichtungen.
Wenn nun sowohl die Guten, wie die Bösen (und die „Neutralen“) ihre subtilen Differenzen haben können, was unterscheidet sie dann nach außen hin voneinander, wenn diese Differenzen auch ausreichen können um (Religions-)Kriege zu führen?
Letztlich ist es eine Frage der Perspektive.
Ein Blick auf Glorantha durch die Moral-Brille
Wenn man sich eine spirituell und moralisch INTENSIV ausgearbeitete Spielwelt wie Glorantha hernimmt, dann bekommt man für jede Kultur dort deren moralisch-ethische Weltsicht vermittelt. Und die steht fast IMMER in Konflikt mit den Sichten der Nachbarkulturen.
Wer hat nun recht?
Wer ist der Böse?
Wenn man Orlanthi-Barbaren spielt, dann sind die Lunaren mit ihren anderen Werten, ihrer seltsam modernen Moralerweichung einfach DIE BÖSEN.
Wenn man Lunare Imperiumsbewohner spielt, dann sind die Orlanthi-Barbaren mit ihrer Rückständigkeit und ihrer ständigen Gewaltbereitschaft einfach DIE BÖSEN.
Wenn man Prax-Nomaden spielt, dann sind die Lunaren und die Orlanthi, welche alle in festen, stinkenden Siedlungen hausen und die Erde durch ihren Ackerbau auslaugen einfach DIE BÖSEN.
Wer ist in Glorantha der Böse?
Immer der ANDERE, der FREMDE, derjenige, der ANDERE MORAL-VORSTELLUNGEN hat als man selbst.
Böse Gruppen in Glorantha
Und nun zurück zu „bösen SC-Gruppen“.
In Glorantha kann man blutrünstige Erdpriesterinnen aus der Orlanthi-Tradition spielen, die wirklich keine Gnade, keine Milde, kein Vergeben kennen und allen, bei denen sie es für nötig halten, ein grausames, blutiges Ende bereiten. Sind das die Guten? – Sie gehören halt zum Orlanthi-Pantheon und sie kämpfen gegen die Lunaren. Aber was sie tun, ist aus der Sicht der SPIELER heutzutage einfach völlig inakzeptabel und läßt selbst die Maya-Blutrituale zahm und milde dagegen wirken.
Eine SC-Gruppe aus einem Schwert Humakts (Todes-Gott), einer Rächerin von Barbeester Gor (Erd-Rachegöttin) und einem Urox-Sturmkhan (Berserker-Gott) ist allein aufgrund der durch diese Gottheiten, diese Kulte vermittelten Wertvorstellungen ein wandelndes SCHLACHTHAUS. – Aber sind die „Böse“? – Aus Sicht der Orlanthi-Kultur NICHT! Da haben sie ihren PLATZ in der Gesellschaft und ihren NUTZEN für die Gemeinschaft (z.B. im Krieg gegen die Lunaren).
Eine SC-Gruppe aus einem Issaries-Händler (Handels-Gott), einer Lhankor-Mhy-Schreiberin (Wissens-Gott) und einer Ernalda-Priesterin (Erdgöttin) ist durch die in ihren Kulten vermittelten Wertvorstellungen eher auf Kompromiß, Verhandlung, Beilegung von Streitigkeiten, Ausgleich ausgelegt. – Aber sind das die „Guten“? – Aus Sicht der Lunaren-Kultur NICHT! Da sind das FEINDE, mächtige Vertreter fundamentalistischer, radikaler, fanatischer, kriegerischer Barbarenvölker, die jeden Augenblick die Leben unschuldiger Lunarer Bürger kosten können!
Die Kernfrage
Wie spielt man also eine „böse“ Gruppe?
Wie einen „bösen“ Charakter?
WAS IST DAS BÖSE?
Solange das nicht JENSEITS ALLEN ZWEIFELS für ein Setting FESTGELEGT ist, solange ist diese Frage nicht wirklich eindeutig zu beantworten, sondern immer nur in Relation zur eigenen Kultur, Gesellschaft, MORAL.
D&D verwendet die Gesinnungen, um JEDEM Wesen in den D&D-Spielwelten klare Gesinnungen zuzuordnen und somit eine klare VON DEN SPIELEENTWICKLERN VORGENOMMENE Einteilung der Weltenbewohner in Gute, Böse, Neutrale usw. vorzugeben.
Diese Einteilung ist NICHT von den Spielern, NICHT aus der Spielwelt heraus, NICHT sonst irgendwie begründet, sondern sie erfolgt willkürlich aufgrund der Einschätzung der Spieleentwickler. Damit ist diese Einteilung auf Basis der MORAL-WERTEMASSSTÄBE der Spieleentwickler erfolgt.
Solche externen, zweifelsfreien moralischen Einteilungen in Spielwelten sind direkt beeinflußt von der Spieleentwickler-MORAL.
Also hat man entweder eine In-Game-Bewertung als Böse, die immer aus der Abgrenzung zu anderen Kulturen, Völkern usw. der Spielwelt rein IN-GAME-begründet ist.
Oder man bekommt eine vom Spieleentwickler OUT-GAME vorgenommene, unumstürzliche FAKTEN darstellende Bewertungen als Böse, die nicht wirklich aus irgendwelchen In-Game-Erwägungen begründet oder begründbar ist.
ORKS!
Orks.
In Evernight sind Orks einfach ein anderes, barbarisches Volk, das sogar diplomatischen und freundschaftlichen Bemühungen zugänglich ist.
In Hellfrost sind Orks IMMER BÖSE und keine Verhandlung, keine Diplomatie der Welt wird sie zu irgendwelchen Vereinbarungen bewegen können – außer von anderen IMMER BÖSEN (und stärkeren) Kreaturen.
Die Hellfrost-Orks sind im Spiel sehr problematisch, weil der Spielleiter sie effektiv als PSYCHO-FREAKS spielen muß. Man kann mit einem individuellen gefangenen Ork nicht verhandeln, ihn nicht bekehren, ihn nicht zum Freund machen. Er ist IMMER unveränderlich böse! – Das führt dazu, daß die Hellfrost-Orks einfach mittels Todesstoß „aufgeräumt“ werden, auch wenn sie einen direkten Kampf Außer Gefecht überlebt hätten. Die SCs, als „Nicht-Orks“, sind hierbei tatsächlich immer MORALISCH EINWANDFREI aufgestellt. ALLE Kulturen und ALLE Kulte der SCs sehen das Töten von Orks als minderschlimm, notwendig oder gar als „gute Tat“.
Böse SCs in Hellfrost?
Kann man dann in Hellfrost nur „Gutlinge“ spielen?
Oh NEIN!
Im Gegenteil!
Der „Interpretationsspielraum“ der Auflagen diverser Kulte ist unterschiedlich breit und es gibt Götter und Kulte für Diebereien, Meucheln, Verseuchen, Betrügen, usw., die auch als SC-Kulte gedacht sind. Diese SCs sind dann schon aus Sicht anderer Kulte „eher böse“, aber NIE so klar und zweifelsfrei „IMMER BÖSE“ wie Orks.
Somit kann man natürlich auch normale menschliche Marodeure, Folterer, Plünderer usw. spielen. Und die können auch – gemeinsame Zielsetzungen und Wertvorstellungen vorausgesetzt – kooperieren, da nur eine ausreichend große Gruppe ein Wehrgehöft überrennen und plündern kann.
Sind die nun BÖSE?
Hmm.
Sie sind Rechtsbrecher.
Sie sind brutal, menschenverachtend, sozial zerrüttend.
Aber ist das ausreichend um BÖSE zu sein?
Oder sind sie doch nur „eher böse“?
Es bleibt schwierig.
KEIN Fazit
Das Thema „Moral im Rollenspiel“ durchdringt das gesamte Hobby – nein, die Moral-Fragestellungen kommen ja schließlich aus dem wirklichen Leben jedes einzelnen, egal ob Spieler, Entwickler, Spielleiter, Verleger, Ladenbesitzer, usw.
Aufgrund seiner Allesdurchdringung ist Moral auch im Spiel, auch im Rollenspiel von immenser Bedeutung.
Eigentlich wollte ich als meinen ersten Artikeln (von einer ganzen Reihe an Artikeln, die mir „in den Fingern jucken“) etwas über „Kampfmoral“ als EINSTIEG schreiben. Doch da Karsten mit seinem interessanten Artikel genügend Anreiz für eine Entgegnung gegeben hat, soll dieser Artikel mein Einstieg sein.
Angerissen hatte ich oben ein paar der nachfolgenden Themen und einige kamen noch nicht vor, doch hätte ich durchaus dazu auch noch etwas „loszuwerden“:
- Moral-Vorstellungen, moralische Werte der Charaktere (in-game)
- Moral-Regeln (Arten, Funktion, Soll/Kann/Muss?)
- Moral-Modellierung in Weltenbau und -simulation
- Moral-„Vereinbarungen“ in-game (Geas, Schwüre, Gelübde) und out-game (Gruppen-Einigungen)
- Spieler-Moral
- Spielleiter-Moral
- Spieleentwickler-Moral
- Spieleverleger-Moral
- Spielehändler-Moral
Mehr dazu über die Feiertage und, falls es alles nicht bis zum offiziellen Ende dieses Karnevals der Rollenspielblogs Ende Dezember reicht, dann eben auch noch später „nachgereicht“.
Diskussionen dazu sind mir willkommen. Entweder hier unten in den Kommentaren oder im zugehörigen Thread im RSP-Blogs-Forum.
„Manche Spieleentwickler sind “moralisch blind” und haben keinerlei Gespür für Moral, moralische Konflikte, oder die Bedeutung der Moral für eine stimmige Charakter-Modellierung – von diesen bekommt man nur Regelsysteme, die “Moral-Krüppel”-Charaktere erschaffen lassen. Somit ist das Einschließen von Moral-Regeln ein Maß für die charakterliche Reife des Spieleentwicklers und eine kritische Indikatoreigenschaft, an der man die Vollständigkeit von Regelsystemen bewerten kann.“
Lese ich da recht – du hältst das Aufzwingen (=verregeln) objektiver Moral für ein Zeichen charakterlicher Reife?
Ich schlage folgende Betrachtungsweise vor: Das Böse ist eine kulturelle Kategorie. Eine Kultur, die nicht gewisse Verhaltensweisen verurteilt, ist (heißt es doch) bedeutungslos. Dieses Verurteilte ist das Böse. Das Böse hat nur Relevanz im Kontext eines sozialen Überbaus. Das deckt sich, wenn ich dich richtig verstehe, mit dem, was du oben schreibst.
Nun ist die entscheidende Frage, was Rollenspieler eigentlich meinen, wenn sie sagen, sie möchten eine böse Gruppe spielen. Vorstellbar wären:
* Sie möchten die Rolle von bisher als böse kategorisierten Figuren annehmen, um sie näher zu erforschen bzw. auszudifferenzieren. Der Reiz ist hier das Fremdartige. Sie nehmen den Standpunkt der Bösen an und lernen, die Welt durch ihre Augen zu sehen. Es findet, wie in deinem Glorantha-Beispiel angedeutet, ein Perspektivenwechsel statt, und die Figuren sind (aus dieser Perspektive) nicht (länger) böse.
* Sie möchten sich auch mal benehmen wie die offene Hose, ohne störende moralische Einschränkungen. Hier liegt der Spaß in der (überlebensgroßen) Inszenierung des archetypisch Bösen, bei der Philosophie und Plausibilität eine, wenn überhaupt, untergeordnete Rolle spielen. Dieses Konzept ist bekannt aus einer Unzahl von Filmen, die böse Antagonisten nach der Rule of Cool entwerfen. Ein Hineinversetzen in die Figuren kann hier nur begrenzt stattfinden und ist auch nicht Zweck der Veranstaltung, stattdessen greifen charakter-externe Überlegungen (ich benutze mal das schmutzige Wort „Author Stance“). Positiv-Beispiele (aus anderen Medien als dem Rollenspiel) gehen häufig in Richtung Persiflage.
Moral und Ethik bezeichnen die faktischen Handlungsmuster, -konventionen, -regeln oder -prinzipien, die beim Zusammenspiel von Individuen, Gruppen oder Kulturen zum Tragen kommen.
Das BÖSE, das Unmoralische, das Unethische ist also simpel betrachtet das Nichtbefolgen oder Negieren selbiger Muster, Konventionen, Regeln und Prinzipien.
Will man also die BÖSEN spielen, spielt man seinen Charakter so, wie eine Person aus dem gegebenen Kulturkreis NIE gehandelt hätte. In anderen Kulturen mag dieses amoralische Handeln dagegen völlig normal sein. Man müsste also eher von moralischem/ethischen Handeln reden, statt von gutem oder bösem.
Endet das gleich mit Mord, Totschlag und asozialem Verhalten? Nein, nicht unbedingt, denn eine Abweichung von der Norm bedeutet ja noch nicht, dass man antisozial, jeglichen Normen gegenüber ablehnend eingestellt ist.
Somit kann es Ethik und Moral im Rollenspiel nur nach der Definition eines kulturellen Rahmens in der Spielwelt, also eines noch so einfachen Satzes von Verhaltensregeln geben.
Und diese Definitionen halten viele Designer gerne recht schwammig, um einerseits nirgendwo anzuecken und andererseits ethischen Diskussionen eines Spielers in Asien mit einem in Europa aus dem Weg zu gehen. Jeder soll möglichst viel von seiner eigenen kulturellen Moral mitbringen, um sich in diesem Setting wohlfühlen können…
Ergänzend ist noch zu sagen, das auch die Orks in Hellfrost nicht per se böse sind, sondern ihre kulturellen Konventionen, Regeln und Prinzipien nur einfach denen der „zivilisierten“ Völker von Rassilon sämtlich widersprechen. Da ist die Schnittmenge bei den Orks in Evernight schon wesentlich größer, will heissen sie sind dort gesellschaftlich toleriert, wenn nicht akzeptiert.
Die Rolle der Orks in Hellfrost ergibt sich, durch die Rolle von „Orcs“ in den dem Setting zugrundeliegenden Kulturen, wo mit diesem Begriff das „Fremde“, „Unverstandene“, „Teuflische“ und „Dämonen“ verbunden wurden. Und das reichte etwa in der angelsächsischen Kultur von „bösen Geistern“ bis zu den „plündernden Normannen“.
Leider stimmt das bei Hellfrost NICHT.
Hier mal meine schon länger zurückliegende Frage und Wiggys Antwort im TAG-Forum dazu:
FRAGE: „Quote:
And what about the „Evil Races“? Does the concept of „Evil Races“ exist in the Hellfrost setting?
Are Orcs considered to be (not supernaturally, but naturally) Evil? Are Orc-Mages/Priests considered to be Supernaturally Evil?“
ANTWORT: „Yes, orc, goblins, and most giants are Evil by their nature — they are not misunderstood or the product of a poor upbringing. Any of them with an arcane background would be considered Supernaturally Evil.“
Der Hellfrost-Macher erklärt hier ganz klar, daß es eben NICHT um „das Fremde“, „das Unverstandene“ geht, sondern daß Orks in Hellfrost IMMER BÖSE sind, daß es IHRE BÖSE NATUR ist und kein „sozio-kulturelles Wahrnehmungsproblem“, welches sie zu den BÖSEN macht.
In Evernight sind die Orks bei allen anderen Rassen übrigens NICHT toleriert oder gar akzeptiert, sondern in Evernight herrscht zwischen ALLEN Rassen extremes Mißtrauen, eben wegen der im Setting verankerten RASSENKRIEGE. Orks sind hier genauso eine der zu bekriegenden Rassen, aber: sie sind NICHT BÖSE, sondern sie sind tatsächlich nur „kulturell andersartig“ und daher kann man auch mit ihnen diplomatischen Kontakt aufnehmen und sie sich zu Verbündeten machen. – Mit Hellfrost-Orks geht das NIEMALS, weil IHRE NATUR BÖSE ist.
Wiggy meinte hier ihr unerschütterliches und vollständiges Nichtbefolgen oder Negieren der Muster, Konventionen, Regeln und Prinzipien, die die „zivilisierten“ Völker aufgestellt haben. Orcs, Ice Goblins und Frost Giants sind keine „armen Sünder“, die von Hunger und Armut getrieben Menschen töten, ausrauben und sogar auffressen. Sünder könnte man bekehren und auf den wahren Weg zurückführen. Mit den „bösen Völkern“ kann man das eben nicht machen und auch niemals erwarten.
Ein wesentlicher Punkt, der daraus folgt, ist, daß es auf Rassilon keine wirklich „guten“ Orcs (im Sinne der ziviliserten Völker) gibt. Auch „gute“ Orks sind immer noch böse, schlecht und verderbt. Sie reden noch mit dir, bevor sie dir die Kehle aufschlitzen, bzw. päppeln dich noch hoch, damit dein Fleisch nachher besser schmeckt.
Was ihren Vergleich mit den Evernight Orks angeht, habe ich ja nichts anderes gesagt. Dort hat die orkische Kultur genügend Überschneidungen, dass man sie zu den „zivilisierten“ Völkern zählt, wenn auch widerwillig. Das sich die Völker dort generell nicht grün sind, ist in dieser Betrachtung absolut irrelevant.
[…] kann (Teil 2). Auf Richtig Spielleiten! geht es um Böse Gruppen, woraufhin Zornhau mit der Frage Was ist Böse? konterte. Diskussionen zu diesem Thema lassen sich zunächst hier finden. Später gibt Richtig […]
Ich bin geneigt zu widersprechen, dass Alignments bei D&D3 keine Regelmechnik seien. Sie werden immerhin von Späßen wie Smite Evil oder Protection from X ausgelesen.
Bei D&D4 hast du sicherlich recht, aber da hat auch bei weitem nicht jeder ein Alignment.
In einigen Rollenspielen existiert das Böse eben als objektive Kathegorie. Das ist kein soziales Problem sondern ein absolute Tatsache. Kein vor allem in unserer Gesellschaft mittlerweile so beliebtes Herumlavieren, Schönreden und Relativieren führt um diese Tatsache herum. Ich finde den klassischen Kampf Gut gegen Böse vor allem in der Fantasy noch immer eine ausgezeichnete Triebfeder für Spiele in diesem Genre. Für mich ist diese extreme Polarisation wohltuend und ein essentieller Grund warum ich mich mit dem im Grunde ansonsten recht primitiven Genre beschäftige.
In Warhammer beispielsweise gibt es den Warp und dessen Kreaturen. Der ist NICHT wertfrei oder mißverstanden sondern BÖSE. Er vernichtet das Seiende aus einem inneren Freude und Drang heraus.
In D&D ist es teilweise ähnlich. Teufel sind böse, und sie ziehen Dir die Haut vom Körper um sich einen Kleid draus zu machen oder einfach aus Freude an der Tätigkeit. Auch Dämonen sind chaotisch böse und nicht eben nur mißverstanden. Sie zerstören und Hassen das Lebende. Würde man einen Dämonen von „Klein auf“ aufziehen und nur mit guten schönen Dingen des Lebens konfrontieren, so wäre er trotzdem immer noch chaotisch böse und würde versuchen das ihn umgebende zu zerstören.
Orcs sind in einigen Settings leider mittlerweile vom klassischen bösen tolkinschen Ork (Goblin) mit einer lassisch und unverrückbaren bösen Gesinnung zum mißverstanden, brutalen Barbarenersatz mutiert,der sich sogar in eigenen Stadtvierteln der Menschen ansiedelt. Ich finde diese Abweichung hirnverbrannt und einen Auswuchs der ständigen Zerrederei und sozialen Relativierungssucht unserer heutigen Zeit, und lehne daher solche Settings absolut ab. (z.B. Eberon, Azeroth, Aventurien…)
Das Imperiativ des Bösen in Hellfrost ist hier sehr erfrischend. Ich stimme hier Kardohan überhaupt nicht zu, wenn er meint daß das Begriff „gut und böse“ nur ein konventionaler Begriff der beteiligten Zivilisationen sei. Nein ich interpretiere Rassilon im klassichen D&D Sinne als eine Welt in der es Absolutismen von Gut und Böse gibt. Und Rassilon-Orks gehören ausschließlich in die zweite Kathegorie. Würde es NUR Orks auf Rassilon geben, dh. keine andere Zivilisation würde die Taten und den Charakter der Orks bewerten, so wären sie trotzdem immer noch „böse“ und nicht undefiniert. Das, glaube ich, meinte Wiggy mit seiner Aussage.