Realismus! – Wirklich?

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Das Ringen um Realismus

Ein immer wieder aufkommendes Thema ist „Realismus“ im Rollenspiel. Das ist ein echter Dauerbrenner. Alle Jahre wieder. – Mal wollen Spieler oder Spielleiter „mehr Realismus“, mal werden Regeln (seltener Settings) als „total unrealistisch“ kritisiert, und dann werben manche Rollenspiele damit „besonders realistisch“ zu sein.

Realismus? Ihr könnt doch Realismus GAR NICHT ERTRAGEN!

Das ist die Kurzfassung dessen, was ich im Folgenden etwas ausführen möchte.

 

 

Realismus? Wirklich?

Der Auslöser für diesen Artikel war eine Nachfrage von Sophia Brandt auf Google+, die in diesem Stream zu „Realismus“ von Waffen und Rüstungen nachgefragt hatte. Dieses Thema spricht mich naturgemäß stark an, so daß ich neben der oben erwähnten „Kurzfassung“ längere Ausführungen gemacht habe zu dem, was mich in puncto „Realismus im Rollenspiel“ so umtreibt. Hier die etwas überarbeitete, an manchen Stellen ergänzte Fassung „am Stück“ (statt in einzelnen Google+-Posts).

 

Was versteht man unter Realismus (im Rollenspiel)?

Der Begriff „Realismus“ ist seit je her SEHR mehrdeutig, wird oft eher schwammig, kontextabhängig anders verwandt und hilft daher nicht viel weiter, wenn einem an klarer Kommunikation gelegen ist.

Das hat natürlich noch nie jemanden abgehalten ihn zu verwenden.

Auch im Rollenspielhobby.

Spiel X ist ja sooo „realistisch“. Spiel Y hat toll „realistische“ Kampfregeln. Spiel Z hat so „realistische Fahrzeugbauregeln“, daß man schon Maschinenbau studiert haben muß, um sie zu verstehen.

Da es keine für das Rollenspielhobby wohldefinierte Bedeutung bzw. Definition von „Realismus“ gibt, hier meine, die ich für meine nachfolgenden Beiträge verwende. Eure mag eine andere sein. Mir egal.

„Realismus im Rollenspiel“ ist das Streben nach einem gewissen Grad an Simulation bestimmter Elemente der wirklichen Welt.
(Ohne jetzt in erkenntnistheoretische Labyrinthe abzutauchen, was denn nun „wirklich“ ist – Ihr wißt, was gemeint ist, und wenn nicht, nehmt weniger Drogen!)
Realismus hat direkt etwas mit Simulation zu tun. „Biegen“ sich Naturgesetze und technische Möglichkeiten „der Story“, d.h. den dramaturgischen Erfordernissen des Moments der aktuellen Handlung, wird nicht simuliert. Bei Realismus im Rollenspiel ist also immer ein gewisser Grad an Simulation involviert – der übrigens auch bei sogenannten Storygames, Erzählspielen usw. vorhanden ist, nur nicht deren Hauptinteresse darstellt. Realismus sorgt für Glaubwürdigkeit, Plausibilität, das Gefühl der „Wirklichkeit“ der fiktiven Welt und ihrer „Naturgesetze“ (meist ausgedrückt in Regeln und anderen Verbindlichkeiten).

Nicht jedes Rollenspiel strebt nach dem gleichen oder gar nach einem hohen Grad an Realismus.
„Realistisch GENUG“ – das ist der Punkt, an dem zwischen SPIELBARKEIT, Handhabbarkeit im eigentlichen Gameplay und dem DETAILGRAD der Simulation ein Kompromiß gesucht (leider aber auch oft nicht gefunden) wird.

So ist im Western-Rollenspiel Aces&Eights (von Kenzer) bei Schußwaffenauseinandersetzungen eine doppelte „Tick-Leiste“ mit Zehntelsekunden-Einteilung im Einsatz, bei der sehr feingranular Bewegungen, wie u.a. das Heben eines Armes, der eine Schußwaffe hält, mit eigenen Tick-Zeitkosten erfaßt und im Spiel umgesetzt sind.

In Savage Worlds gibt es unterschiedliche, aber nur in sehr grobe Kategorien eingeteilte, Feuerraten von Schußwaffen, die sich nur grob an die realen technischen Werte der modellierten realweltlichen Waffen anlehnen und eher nur eine Art „relativen Realismus“ bei der Modellierung dieser Waffen in Regelelementen und Spielwerten darstellen.

Nicht in allen Elementen einer modellierten Welt wird Realismus angestrebt.
Ein Spiel mit hohem Fokus auf Degenduelle mag danach streben die Fechttechniken des 18. Jahrhunderts so getreu wie möglich in Regelelemente umzusetzen, aber z.B. nicht die historisch akkuraten technischen Gegebenheiten von Feuerwaffen, Heißluftballons oder der Porzellanherstellung dieser Zeit.

Die Elemente der realen Welt, die den Entwicklern für ihre Spielwelt wichtig sind, die sie hervorheben wollen, bekommen mehr Detailgrad UND mehr realweltliche Genauigkeit in der Abbildung gewidmet.

Man kann hohen Detailgrad in Spielen verwenden, und trotzdem komplett UNrealistische, ja sogar schlichtweg unplausible oder falsche Eigenschaften modellieren. (Klassiker: Das Katana, der japanische Säbel, als die ÜBER-Waffe, die sogar Kampfpanzerstahl schneidet. Die Waffe kann mit viel Details modelliert worden sein, aber solche Eigenschaften sind einfach Unfug, egal wie detailliert sie beschrieben sein mögen.)

Daher ist der Punkt der „realweltlichen Genauigkeit“ für Realismus auch so wichtig.

 

Wozu Realismus?

Manche Genres, die im Rollenspiel erschlossen werden, benötigen ein wenig „Unterfütterung“ von Beschreibungen, „Spielwelt-Naturgesetzen“ (Regeln), etc., um glaubwürdig (genug s.o.) zu wirken.

Das betrifft natürlich insbesondere Genres und Settings, die in historischen Zeiten der realen Geschichte angesiedelt sind. Sandalen-Abenteuer im „antiken“ Griechenland, Mantel&Degen-Abenteuer im frühen 18. Jahrhundert, viktorianische Gentleman-Detektive, Cthulhu-suchende Ermittler im 2. Weltkrieg, usw. Es gibt ja eine echte Fülle an historischen bzw. alternativ-historischen Rollenspielsettings. Meist haben diese ja unhistorische, neu eingeführte Elemente des Phantastischen (anachronistische bzw. unmögliche Dampft- oder Uhrwerktechnik, Magie, Monster, Götter von jenseits von was auch immer), womit dem Realismus ohnehin Grenzen gesetzt werden. Andere versuchen aber tatsächlich irdisch-historische Settings rollenspielerisch zu erschließen (wie z.B. 43 AD, ein Militärrollenspiel zur Zeit der römischen Invasion in Britannien, oder Private Eye, ein Detektivrollenspiel in spätviktorianischer Zeit). Diese sind oft sehr liebevoll und teils sogar mit gewisser Akribie recherchiert, legen also hohen Wert auf Realismus zumindest bei der Präsentation des Settings (bei den Regeln bricht der Realismus hingegen oft krass zusammen, siehe die beiden oben erwähnten Beispiele).

Je präsenter die realweltliche Information den Spielern ist, desto eher fallen natürlich Abweichungen von der historischen Akkuratheit auf. (In den heutigen Zeiten pandemischer Allgemeinbildungsschwäche geht der Trend dazu, daß sich dieses Problem der Entdeckung solcher Abweichungen auswachsen wird. Irgendwann haben die Spieler eh keine Ahnung mehr, was selbst vor kurzer Zeit noch gesicherte Fakten waren. Vor dem geistigen Hintergrund eines unbeschriebenen Blattes spielt es sich natürlich unbeschwerter.)

Manche dieser Abweichungen sind verschmerzbar (Hygiene zur Zeit des Barocks wird selten ein Schwerpunkt in einem Rollenspiel sein, eher ein kurioses Randdetail, so es überhaupt Erwähnung findet). Andere Abweichungen sind ärgerlich (überzogen ungenaue oder langsame Vorderladerwaffen in napoleonischen Settings – sooo lahmarschig und untauglich waren diese Waffen in den betreffenden Kriegszeiten nicht, wie die vielen Toten belegen). Und wieder andere sind sogar GEWOLLT(!) (wie etwa moderne, somit für historische Settings anachronistische Chancengleichheit der Geschlechter und moderne Ideen sozialer Mobilität und Selbstbestimmtheit, die für die erstellten Spielercharaktere natürlich nicht historisch korrekt sind, den Spielern solcher Charaktere aber einfach mehr Aktivität und Entscheidungsfreiheit im Spiel gestatten).

Rollenspielprodukte WERBEN ja oft mit Realismus in bestimmten Bereichen. Das wird dann oft auch noch reißerisch ausformuliert als „grim&gritty Kampfsystem“ oder „realistisches Schadenssystem“ oder „realistisches, sekundengenaues Initiativesystem“.

Solche Behauptungen ziehen als Werbemittel, weil eben manche Rollenspieler für ein besseres Gefühl der Spielwelt nicht nur einfach mehr Details, sondern mehr historisch akkurat recherchierte und umgesetzte Details wünschen (bzw. zu brauchen meinen – braucht natürlich niemand, will auch eigentlich niemand, aber daß es niemand will, will auch keiner wahrhaben, so daß man sich selbst in die Tasche lügt). – Hier ist natürlich eher das GEFÜHL der Akkuratheit ausschlaggebend, nicht die tatsächliche Korrektheit der dargebotenen „historischen Fakten“, denn die allermeisten Spieler werden rein von ihrem Kenntnisstand her nicht in der Lage sein, die Korrektheit zu beurteilen. (Und, erschwerend kommt hinzu, daß bisweilen gesicherte historische Fakten überraschend „phantastisch“ anmuten, unglaublich wirken. Ein Aspekt, der Geschichtswissenschaft so spannend macht.)

Der „Gewinn“ an Spielspaß, den sich manche von dieser wohlrecherchierten Detailfülle versprechen, ist eben eine (so erwartet) besonders hohe Glaubwürdigkeit in der Darstellung der Spielwelt und der Modellierung der dort herrschenden Naturgesetze (via der Spielregeln).

Oft verzetteln sich jedoch Rollenspiele mit hohem „Realismus“ in allzu kleinkarierten, langsam abwickelnden Mechaniken, die dem Gameplay jegliches Tempo rauben und sogar nicht besonders wichtige Handlungen schon zu einer quälenden Sisyphos-Arbeit werden lassen.

Das ist ein bekanntes Phänomen. Daher ist es für die Entwickler solcher Systeme besonders wichtig die „Goldene Mitte“ aus Realismus-ANSPRUCH und SPIELBARKEIT zu finden. Gelingt leider den wenigsten, aber manche versuchen es wenigstens, was zumindest eine Achtungsnote wert ist.

Spieler sind natürlich keine homogene Gruppe und haben natürlich auch kein für alle gleichartig hohes Interesse an Realismus. Hier gibt es ALLE Abstufungen – und das macht natürlich die Vielfalt an Rollenspielen, die derartig unterschiedliche Realismus-Wünsche bedienen, auch erst sinnvoll.

 

KAMPF – geradezu DAS „Schlachtfeld“ des Realismus

Kampfsituationen sind in so gut wie jedem Rollenspiel ernste Konflikte, in denen die körperliche und geistige Unversehrtheit der Charaktere riskiert werden. Es sind zentrale Spannungselemente. Daher konzentrieren sich viele Rollenspiele bei der Modellierung ihrer Spielwelt und deren Naturgesetzen auf Kampfsysteme als den Punkt, an dem sie am tiefsten in die Detailebenen und am stärksten in die realistische Modellierung, die (wirklichkeitsgetreue) Simulation, abtauchen.

Rollenspielhistorisch hatte Anfang der 70er Jahre Chainmail bzw. das daraus hervorgegangene alte D&D einen ziemlich unrealistischen Ansatz. Da ging es erst einmal um Spielbarkeit, einfache Handhabung und weniger um das Ausmodellieren akkuraten (Waffen-)Kampfes.

Später, in den SEHR simulationsinteressierten 80ern gab es mit Phoenix Command ein extrem detailliertes, und entsprechend mäßig handhabbares, Kampfsystem, das aber hohen Realismus für sich beanspruchte.

Mit den nachfolgenden Trends wie Storytelling, Narrativ-Gedöns, Dramaturgie-Steuerung des Spiels ging in vielen Spielen der Realismus erst einmal wieder zurück – es galt die aus Film, Serien, Comics, Büchern, Computerspielen bekannten Action-Versatzstücke in all der „unphysikalischen“ Glorie, mit Bullet-Time und massivem SFX-Einsatz ins Pen&Paper-Rollenspiel zu bringen.

Heute haben wir eine Art „postmoderne Beliebigkeit“, keine wirklich feststellbare Strömung bei neuen Rollenspielen mehr. Das heißt, daß man bei neuen Spielen Kampfsysteme „wie aus den 80ern“ mit Tick-Systemen, Gun-Porn und „realistischen“ Kampfregeln ebenso findet, wie OSR-Klone und „oldschoolig“ simple Kampfsysteme ohne Realitätsanspruch, sowie komplett unrealistische Genre-Emulation der überkandideltsten cinematischen Versatzstücke.

Die Geschmäcker und damit die Bedarfe der Spieler sind sehr unterschiedlich.

Es gibt aber natürlich auch heute noch neue Rollenspiele, die mit „hohem Realismus“ werben – und diese Werbung zieht auch heute noch.

Dabei konzentrieren sich diese Spiele eben meist auf das Kampfsystem.

Und da kommt trotz Realismus-Anspruchs oft schwerer UNFUG heraus!

Wieso das denn?

 

Was soll das eigentlich sein: ein „realistisches“ Kampfsystem?

Gute Frage! – Denn anders als z.B. historische Daten oder manche Verhaltensvorschriften historischer Zeiten, die sehr gut in Primärquellen belegt sind, sieht das bei historischen FAKTEN über Kampfstile, Kampfmethoden, Waffeneinsatz usw. schon ganz anders aus.

Ja, es gibt – leider nur punktuell – alte Fechtbücher (ab dem 12. Jahrhundert in halbwegs verwertbarer Form), und davor Schilderungen, Kriegs- oder andere Kampfberichterstattungen, die natürlich von weiteren Absichten der jeweiligen Autoren geprägt „ungenau“ (lies: falsch!) sind, so daß man schon Geschichte studieren muß, um hier die eigentliche, abgesicherte Fakteninformation herauszuziehen.

Ich bin ja seit 30 Jahren in Kampfkünsten unterschiedlicher Herkunft, seit über 20 Jahren in historischen europäischen Kampfkünsten in Theorie und Praxis aktiv. Das ist auch heute noch, wo man inzwischen entsprechende Fechtgruppen zahlreich findet, ein Feld voller Unsicherheiten und Problemen, die durch die unterschiedliche Herangehensweise an die historischen Kampfkünste und deren praktische Rekonstruktion bedingt sind.

Experimentelle Archäologie, Materialwissenschaft, Geschichtswissenschaft und ein breites praktisches(!) Vermögen im Kampf in unterschiedlichsten Disziplinen erlauben die REKONSTRUKTION der leider kulturell zwischenzeitlich verlorenen alten Kampfkünste in einer Weise, die man ebenfalls als „realistisch“ bezeichnen kann.

Der Realismus bei diesem praktischen historischen Fechten kennt auch keine eindeutige Definition. Da gibt es Guppen, die mit modernen Übungsmaterialien, modernem Schuhwerk, in modernen Fechthallen, mit modernen Kunststoffmaterialien als Schutz vor Verletzungen üben – womit sie natürlich einen systematischen Fehler gegenüber den historischen Vorbildern machen. Es ist eben doch sehr deutlich anders, wenn man mit anderer (Schutz- bzw. Sport-)Ausrüstung antritt als mit historischen Materialien. Nur ist natürlich ein SICHERES Üben ein sehr guter Grund, aus dem man Abweichungen zu den historisch überlieferten Gegebenheiten in Kauf nimmt. (Gerade moderne Materialien erlauben ja auch weitaus heiklere Dinge ohne Gefahr für die Übenden in sehr ernstkampfnaher Geschwindigkeit zu üben – ein Luxus, den man aufgrund der historischen Materiallage, in den Zeiten, aus denen die geübten Kampfkünste stammen, so nicht hatte.)

Man kann natürlich auch nicht immer historische Waffen aus Sammlungen für praktische Übungen riskieren (in manchen Fällen werden aber tatsächlich auch authentische historische Stücke manchen Praxistests unterzogen – meist natürlich solche, die keine seltenen Funde darstellen), sondern ist auf REPLIKEN, also „realistische Rekonstruktionen“, der Dinge angewiesen, die bei praktischem Einsatz auch beschädigt werden können. – Solche Repliken können sehr unterschiedlich akkurat erstellt werden, eine Frage des Geldes und des Könnens der Handwerker, sowie des Forschungsstandes zur historischen Materialwissenschaft. – Ein SEHR komplexes Feld.

Wenn jetzt also ein Rollenspiel-Entwickler gerne ein SEHR realistisches Kampfsystem erstellen möchte, was macht er dann?
Woher bezieht er denn seine Informationen darüber, was denn nun historische FAKTEN über z.B. den Einsatz von skandinavischem Rundschild des 9. Jahrhunderts im Unterschied zum römischen Legionärsschild des 1. Jahrhunderts oder der Rotella des 16. Jahrhunderts sind?
Oft existieren hier nur „Vermutungen“, Interpretationen von historischen (lückenhaften und oft mißverständlichen) Quellen, praktisches Ausprobieren (mit jeweiligen „Vorurteilen“, je nachdem, woher die Praktiker kommen, was sie an lebendigen Kampfkünsten als „Brille“ mitbringen, die sie auf die historischen anwenden).

Woher soll nun ein Nicht-Fechter unter den Rollenspiel-Entwicklern eigentlich wissen, was nun an langem und breitem Diskurs über z.B. Schildeinsatz über die Jahrhunderte und Kulturen „stimmt“, was nun „korrekt“ ist?

Kann er nicht!

Geht nicht.

Das wissen ja nicht einmal die Praktiker der historischen Kampfkünste selbst!

Diese probieren ständig selbst, experimentieren, schauen, was geht, prüfen, ob sie eine vorgefaßte Meinung hatten, die ihre bisherigen Interpretationen vorurteilsbeeinflußt hat, ändern ihre Interpretationen, probieren weiter, tauschen sich mit anderen aus. – So wächst im praktischen Diskurs weltweit das gesichertere (nie wirklich sichere) Wissen über die Auslegung der historischen Primärquellen, das, was man mit authentischen Repliken anfangen kann und wie das mit anderen Primärquellen und Sekundärquellen zur Deckung zu bringen ist.

Das ist ein ständig laufender Prozeß. Es gibt KEINE finale Faktenlage, die man einem interessierten Rollenspiel-Entwickler mitteilen kann. Es gibt nur aktuelle Interpretationen, die sich aber schon nächste Woche wieder ändern könnten, wenn ein neues Fechtbuch aufgetaucht ist oder neue archäologische Funde gemacht wurden.

(So wurden ja vor vielen Jahren ursprünglich als „billige Gebrauchsklingen“ abgetane Sax-Klingen, wie man sie in süddeutschen Äckern überall findet, tatsächlich einer aufwendigeren materialwissenschaftlichen Untersuchung unterzogen, mit dem Resultat, daß diese Klingen trotz ihres großen Alters höchste Metallbearbeitungsqualität hatten, vergleichbar mit den besten historischen japanischen Katana-Klingen, die aber viel jüngeren Datums sind! Überraschung! Da staunte die Fachwelt. Heute wissen wir, daß auch die frühen Völker in Europa SEHR elaborierte Metallbearbeitung beherrschten und ihre Waffen nur sehr aufwendig zu replizieren sind, dafür aber auch außerordentlich funktional sind.)

Blöde Situation für den Entwickler, der gerne wüßte, welche Eigenschaften „das Wikingerschild“ hat, so daß er es in seinen Spielwerten modellieren kann.

KEIN Rollenspiel-Entwickler möchte sich in diese „Fluidität“ der Fakten-Erforschung historischen Fechtens einlassen, denn dann würde er NIE sein Rollenspiel fertig bekommen.

Was nun? Was tun?

 

Vorurteile „for the win“!

Da man als Spieleentwickler nun keine wirklich hilfreichen Aussagen von den heutigen Experten im praktischen Einsatz gerade historischer Fechtwaffen erhalten wird, muß man sich zwangsläufig anders behelfen.
(Bei modernen Schußwaffen sieht das anders aus, da kann man ausreichend Waffenexperten, technische Details usw. aus modernen Kriegen und „zivilem“ Einsatz erfragen – aber, da gilt „Fantasy geht immer“, und da die Fragestellung im auslösenden Beitrag auf Google+ eher „Fantasy“-Waffen und -Rüstungen behandelte, sollen moderne Waffensysteme hier nicht der Fokus meiner Ausführungen sein.)

Schritt 1 für den Entwickler: Was empfinde ICH denn als „realistisch“?

Das ist nicht nur der erste Schritt, sondern oft der EINZIGE Schritt, den Entwickler von als „realistisch“ beworbenen Systemen tätigen.

Und hier greift dann – ob bewußt oder unbewußt – ganz massiv der VORURTEILS-Einfluß in die Modellierung ein.

Der Entwickler „stellt sich vor“, was denn wohl realistisch sei. Und dann kommen solche Sachen heraus, wie, daß Rüstungen „Schaden absorbieren“, was natürlich ziemlicher Unfug ist.

Ziemlicher Unfug, aber natürlich nicht vollständiger Unfug.

Die Vorstellung ist, man haut auf jemanden drauf, irgendwie halt, irgendwohin. Und der „Schaden“ (was ist eigentlich „der Schaden“? Eben!) wird durch die Rüstung irgendwie reduziert, weil ja historisch die Leute Rüstungen getragen hatten, um nicht gleich durch einen Schwerthieb zu sterben.

Tja. So kann man es sich vorstellen, ist nur bekloppt.

Rüstungen FUNKTIONIEREN! – In einer Rüstung ist man BEWEGLICH, sogar in den meisten fast wie im Turnanzug. In einer Rüstung muß man ALLES tun können, was man für den Einsatz seiner Waffen und der Bewegung auf dem Schlachtfeld tun muß. (Anders als reine „Sportgeräte“ wie Turnierrüstungen, die wie Formel-1-Wagen SEHR speziell auf bestimmte Wettkampfdisziplinen ausgelegt waren. Man fährt ja auch nicht im Formel-1-Wagen in eine Panzerschlacht. Man trägt keine „Sportrüstung“ in eine mittelalterliche Schlacht.)

Rüstungen schützen. Und zwar sehr gut! – Das bedeutet, daß die gerüsteten Körperteile gerade bei Metallrüstungen ziemlich sicher vor Verletzungen durch die Waffen sind, gegen die sie geschaffen wurden (wichtig: Nicht alle Rüstungen aller Epochen taugen gegen alle Waffen aller Epochen – eigentlich selbstverständlich – nur nicht in Rollenspielen.).

Nehmen wir als Beispiel nur mal den Klassiker, die den gesamten Körper einhüllende Plattenrüstung (die so sauteuer war, daß sie eh nur wenige sich leisten konnten). Solch eine Rüstung hat wenige Schwachstellen. Geht man einfach zu jemandem in dieser Rüstung und „haut halt mal drauf“, macht man KEINERLEI Effekt! Die Rüstung steckt alles weg bzw. läßt alles abgleiten. (Nicht zu vergessen: Der Kämpfer in der Rüstung BEWEGT sich! Er macht Meidbewegungen und geht bei einem Treffer mit wie ein Boxer mit einem Schlag mitgeht. Es kommt beim Harnischfechten ziemlich wenig Wirkung beim Kämpfer an.)
Dumme Idee jetzt einfach auf jemanden in Rüstung „irgendwie irgendwohin“ zu kloppen! Eben.

Man greift NIE „irgendwie“ an. Keine Ahnung, woher diese komische Vorstellung kommt. – Hat man einen Gegner in Rüstung, dann greift man die VERWUNDBAREN Stellen an. die schwächst gerüsteten Blößen wie Gelenke, Visier, Achselhöhle, oder man ringt ihn, wirft ihn (Rüstungen sind nicht so toll, wenn man geworfen wird, weil einem dann in der Rüstung die Gelenke ausgekugelt werden können, falls man nicht Fallschule und Abrollen beherrscht.).

Was bedeutet das?

Rüstungen MACHEN SCHWERER ZU TREFFEN.

Schockschwerenot!

Tja, wenn ich nur ganz kleine Ziele habe, die ich mir auch noch durch Fechttaktik erst einmal als Blöße freilegen muß, dann ist mein Gegner deutlich schwerer da zu treffen, wo es auch WIRKUNG erzeugt. Und im Kampf geht es NUR um Wirkung!

Anders natürlich beim Messerkampf gegen einen Gegner mit Lederjacke. Klar kann man durch eine gute Lederjacke sehr oberflächliche Schnitte aufhalten. Nur gehen die Schnitte NIE nur auf die Jacke! Und Stiche eh nicht. – Wenn einer mit dicker Lederjacke ankommt, dann schneidet man ihn in den Hals, in die Hände, und – fies, wegen der Beinschlagader – ins Bein, wo er meist nur normale Hosen trägt. – Tja. Auch die Lederjacke macht einen schwerer zu treffen, aber nur sehr wenig schwerer.

Ein Küraß eines Conquistadors ist ein geniales Teil an Schutzwaffe. Die vorgewölbte Brust läßt Stiche wie Hiebe abgleiten, die „Schürze“ schützt die Beine, das Aufliegen auf der Hüfte entlastet die Arme und erlaubt höchste Beweglichkeit selbst im Dschungelkampf. – Schaut man sich auch heute noch geübte philippinische Klingenstile an, so fällt auf, daß diese „seltsame Stiche“ in ihrem Technikumfang unterrichten. Diese sind historisch bedingt, da die Spanier lange Besatzungsmacht waren. Diese Stiche kommen tangential in die Blößen bei den Achseln, unter der Schürze in den Bauch und von oben in den Kragen. Ein direkter gerader Stich nach vorne wäre sinnlos gewesen gegen einen mit Küraß gerüsteten Gegner. – Auch hier: Ein komplizierter auszuführender Stich wird notwendig, weil der Gegner durch den Küraß schwerer zu treffen ist.

D&D hat recht.

Rüstung macht einen schwerer zu treffen.

Nicht jede Rüstung nimmt natürlich den gesamten Effekt einer Waffe raus, aber z.B. ein historisch akkurat erstelltes Kettenhemd mit Unterkleid (nicht die übliche Schaukämpfer-Ware!) ist auch gegen Stich und Bogenschuß außerordentlich widerstandsfähig. Eventuell brechen darunter Rippen, aber selbst das ist nicht sicher, wenn der Kämpfer mit dem Treffer mitgeht.

Rüstungen funktionieren. – Sie sind teuer, aufwendig herzustellen, brauchen etwas Übung sie anzulegen und zu tragen und stellen natürlich eine gewisse Traglast dar (wenn auch eine geringere, als viele annehmen), denn sonst hätten sie nicht so lange Zeit praktischen Einsatz gehabt.

Und Rüstungen plus Schilde werden auch heutzutage von den Anti-Krawall-Polizeitruppen auf aller Welt eingesetzt. Körperpanzerung plus Schild und sogar mit der klassischen „Schildwall“-Taktik funktioniert nun einmal sehr gut.

Aber für Rollenspiele heißt das alles NICHTS!

Denn es kommt ja auf das SPIEL an, nicht darauf, daß irgendwas funktional stimmig umgesetzt ist.

Und so kommen dann auch Regeln, bei denen Rüstungen Schaden absorbieren oder gar – krass! – Rüstungsteile „weggeschlagen“ werden können, um Schaden zu entgehen, in Rollenspielen auf.

Und die Rollenspieler finden das dann „toll realistisch“. Und das können sie ja auch, denn es ist nur ein GEFÜHL, leider aber kein Fakt.

„Postfaktischer Realismus“ sozusagen.

Ist aber eben „realistisch genug“, um das gewünschte Spielgefühl zu erzeugen.

 

Postmoderne Beliebigkeit auch in der Waffenkammer

Im Google+-Stream „Realismus“ von Waffen und Rüstungen wies Torben B. in einem Kommentar noch auf einen Punkt hin, der in Rollenspielen sehr gängig ist – auch in denen mit dem Selbstverständnis bzw. Anspruch besonders realistisch zu sein.

Er schrieb (Hervorhebung von mir):

Abseits dieser technischen Aspekte (Gewicht, Handhabbarkeit, Verarbeitung, Vorteile, Nachteile, bla bla): Historisch ist die Auswahl aus einem Arsenal an unterschiedlichen Waffen („Nehm ich jetzt Katana, Keule, Colt oder Kanone? Zieh ich dabei Lederwams, Plattenrüstung oder Kevlarunterwäsche an?) wohl eher die absolute Ausnahme, wenn nicht sogar träumerisch-abstruse Ausgeburt moderner Autoren. Um es mal zu paraphrasieren: Weapons don’t kill people, people do.

Da ist natürlich etwas dran. – Spielt man in einem modernen Setting, könnte man natürlich die Anschaffung von Repliken als Begründung für das Verwenden historischer Waffentypen anführen. Viele Settings sind ja auch klassische „Eintopf“-Settings (oder denglisch: „Kitchensink“-Settings), in die man irgendwie alles, was die Macher interessiert, reinwirft. Dann können sich die Spieler ihre natürlich komplett anachronistischen Bewaffnungen selbst zusammenstellen – wobei zwangsläufig der Realismus erst einmal ausgedehnten Urlaub nimmt.

Waffen, Angriffs- wie Schutzwaffen, stehen ja nicht in einem „zeitlosen Raum“ (außer sie sind Museums-Exponate – und selbst da nicht wirklich). Sie sind ja in ihren Materialien, ihrer Ausfertigung, ihrer Funktion, ihren Stärken und Schwächen Gegenstände ihrer Zeit und ihrer jeweiligen Gegenparts. Hatten die (Kriegs-)Gegner bestimmte Waffen, hatte man sobald es ging eine waffentechnische Antwort darauf entwickelt. – Das ist der klassische Rüstungswettlauf, der garantiert schon mit dem Faustkeil und dem spitzen Stock begann.

Spiele-Entwickler, die Wert auf Realismus legen wollen, sind hier natürlich angeraten zu recherchieren. Interessanterweise ist die Recherche nach der tatsächlich historisch belegten Bewaffnung unterschiedlicher Völker und sozialer Gruppen auch fruchtbarer als die Recherche nach konkreten, praktischen Einsatzweisen dieser Waffen. Welche Waffen die Leute getragen haben, kann man – je nach Epoche – einem mehr oder weniger reichen Bestand an Primärquellen entnehmen. Daran forschen Historiker (die keine Waffen-PRAKTIKER sein müssen!).

Spiele mit engem Fokus, z.B. das schon genannte Private Eye Detektiv-Rollenspiel, bieten Settinginformationen über die zum gesetzten Zeitpunkt in der gesetzten Region (spätviktorianisches England) verfügbaren Mittel der Forensik, über vor Gericht anerkannte Beweismittel usw. – Man merkt hier, wieviel Recherche in das Auffinden dieser Informationen und das Einarbeiten in für das Rollenspiel nutzbares Format investiert wurde.

Bei Rollenspielen mit stärkerem Kampfanteil als dem obengenannten Detektiv-Rollenspiel gibt es da aber oft Überraschungen oder gar Enttäuschungen in der Form, daß nur die wirklich gängigsten Klischees in puncto Bewaffnung berücksichtigt wurden, die dann aber mit dem Realismus-Anspruch bei den Mechaniken kollidieren, weil entsprechende, unhistorische Waffentypen so nie für den Einsatz gegeneinander konzipiert wurden. Das mag von den ausgesprochen BEKLOPPTEN Fernseh- und Youtube-„Vergleichs-Videos“ herrühren, wo man z.B. „den Samurai“ gegen „den Ritter“ antreten läßt. Das ist grauenhafter MÜLL, wird aber von der zumindest ihre Uninformiertheit nicht ändern wollenden Masse der Zuschauer als „Fakt“ angesehen. Das ist nicht einmal mehr „postfaktisch“ oder „Fake-News“, das ist SCHROTT! Unterhaltungs-Scheiß, den man weniger Ernst als die Trickserien aus dem Kinderprogramm nehmen sollte. – Nur bekommt man in Rollenspielprodukten solchen „Kinderkram“ eben auch oft aufgetischt.

Unfug, aber natürlich „voll realistisch“.

Ich kann ja verstehen, daß viele Spieler im Rahmen der Charakteroptimierung auf „Ausrüstungs-Porno“ abfahren und die Auswahl haben wollen, mit was für (coolen) Waffen sie ihren Charakter ausstatten. Das ist auch vollkommen in Ordnung, wenn einem Realismus so wenig bedeutet, wie es für eine überkandidelte, anachronistische Unterhaltungs-Eintopf-Welt eben passend ist. – Nur paßt dazu ein Realismus-Anspruch überhaupt nicht!

Mehr Realismus heißt gerade in historischen Settings auch oft, weniger Auswahl, „gefühlt suboptimale“ Ausrüstung der Charaktere. – Die Charaktere müssen ja auch nicht die ökonomischen Probleme von Waffenerwerb in historischen Settings ausbaden. Statt die Familie das Jahr durchzufüttern holt sich der tolle Krieger nun einmal lieber das beste Schwert (das das Regelwerk hergibt). Realistisch wäre es aber anders. Da hätten natürlich Lebenserhalt – eigener und der der Familie, Verwandtschaft, usw. – den Vorrang. Waffen waren und sind(!) Luxusgüter für die allermeisten „Normalbewohner“ einer jeden Spielwelt. Wer hat schon Geld für etwas, das man eigentlich nicht braucht und nicht brauchen möchte? (Denn „realistische“ Kampfregeln sind ja oft auch SEHR tödliche Kampfregeln, mit Wunden, Verstümmelungen, Entzündungen, Siechtum, Tod – „echt gritty“ eben.)

Die Frage für einen Spieler wie einen Spiele-Entwickler ist aber natürlich, ob eine historisch akkurat recherchierte und modellierte Bewaffnung tatsächlich MEHR SPIELSPASS bringt.

Viele Rollenspiele kommen mit Dolch, kurzes Schwert, langes Schwert, riesiges Schwert vollkommen klar. Keinerlei Anspruch auf historische Korrektheit, einfach nur das Bedienen der „Kundenwünsche“ danach mit einem „Big Ass Sword“ zu posieren oder mit „Sword&Board“, Schwert und Schild, oder mit zwei kurzen Schwertern, oder als Messerheld herumzurennen. – Dabei kann das Kampfsystem, also die Regeln dahinter, immer noch versuchen „realistisch“ zu sein.

Bei der Waffenauswahl im Rollenspiel geht es eigentlich um folgende Punkte:

  • Wie cool sieht mein Charakter damit aus?
  • Wie kompetent und bad-ass kann mein Charakter damit austeilen?
  • Wie sehr steigert die Waffe die Überlebens-Chancen meines Charakters?

Je nach Rollenspiel sind diese Punkte unterschiedlich gewichtet.

Daher findet sich eben oft ein anachronistischer, eklektischer „Eintopf“ an Ausrüstungsgegenständen in Rollenspielen – gerade in Fantasy-Rollenspielen, wo alles, das irgendwie nach „Fäntelalter“ aussieht, reingepackt wird.

Ist nicht schlimm, aber eben auch nicht realistisch.

 

Realistische Ökonomie im Rollenspiel

Das ist einfach: Gibt es keine.

Gehen Sie weiter. Hier gibt es nichts zu sehen.

Im Ernst, sogar MODERNE Settings VERSAGEN völlig bei der Modellierung auch nur halbwegs überzeugender, geschweige denn „realistischer“ Umsetzungen solch unspektakulärer Dinge wie „Einkaufen“, „Bankkonto Verwalten“, „Miete Zahlen“.

Die Preise in ALLEN Rollenspielen, die ich so kenne, sind einfach falsch. Die stimmen nicht einmal, wenn ich ein neues, in der heutigen Zeit angesiedeltes Rollenspiel nehme und Preislisten mit Amazon-Preisen vergleiche. Ganz wüst wird es bei Fahrzeugen und – natürlich(!) – Waffen.

Gut. Auch ich habe wenig Spaß daran, wenn ein Rollenspiel zu einem reinen WIRTSCHAFTS-Spiel wird. Aber gerade bei sich als „realistisch“ deklarierenden Rollenspiiele wäre ein klein wenig mehr Plausibilität auch im Bereich der Finanzen angezeigt und gäbe auch mir als Spieler mehr Sicherheit und Abschätzbarkeit der Kaufkraft und des finanziellen Spielraums meines Charakters.- Aber auch das erfordert ja, wie alles rund um Realismus, ausgiebige Recherche der Entwickler. Recherche auch noch in einem – von vielen so empfunden – drögen Themenbereich. (Ich finde Waffen auch viel cooler als Alterssicherungsanlagemöglichkeiten. Letztere sind für mich als Altem Sack ™ aber reallebig natürlich wichtiger. Waffen sind trotzdem cooler.)

Viele Spiele umgehen das ganze Wirtschafts-Thema komplett. Oder sie verwenden starke Abstraktionen (so etwas wie „Wealth“ oder „Lifestyle“ als Spielwerte, die für die üblichen Ausgaben eines Charakters Sorge tragen). – Könnte man natürlich auch bei Waffen machen. (Das Superhelden-Comic-Rollenspiel Marvel Heroic Roleplaying (MHR) macht das ja, indem die Superhelden mit ihrer oft unterschiedlichen Bewaffnung nur ein Power Trait „Weapon“ haben. Das kann dann von W6 bis W10 annehmen und steht für die jeweilige Markenzeichen-Waffe des Charakters. Mehr Details bekommt die Waffe in der Modellierung nicht. Für Superhelden absolut passend, finde ich.)

 

Was ist eigentlich „Schaden“?

Oje. Schaden, das ist eh ein Problem.

Schaden gibt es eigentlich überhaupt NICHT!

In Rollenspiel-Mechaniken, ja, da gibt es Schadenswürfe, Trefferpunkte, Lebensenergie, „Konsequenzen“, „Wunden“, usw. – Aber eben NUR DA.

Das alles sind abstrakte Modellierungen der Wirkungen erfolgter Treffer auf einen (meist ja menschlichen, organischen) Körper.

Nur, diese Modellierungen haben nichts mit „anatomischer Korrektheit“ und tatsächlicher forensisch abgesicherter Wirkung von Waffenkampfverletzungen zu tun.

Schadensmodellierungen sind daher ganz grundsätzlich unrealistisch.

Ich bin selbst kein Mediziner, aber wenn man einige Jahrzehnte insbesondere Waffenkampf praktiziert und unterrichtet, muß man zwangsläufig lernen, was „lohnende Ziele“ sind und welche Wirkung unterschiedliche Arten von Treffern auf diese Ziele auslösen (und, zumindest für das sichere Training miteinander, wie man im Ernstfalle erste Hilfe leistet, wenn denn die Wirkung mal eintritt).

Hier stinken so gut wie ALLE Rollenspiele ab. Mal werden die Charaktere viel zu „fragil“ modelliert, so daß ein leichter Kratzer, wie man ihn im realen Freikampf eh locker wegsteckt und hinterher noch drüber lacht, schon den Charakter umbringt. Andere Systeme lassen Charaktere durch ein Kettensägenspalier laufen und immer noch mit über der Hälfte ihrer Hitpoints rauskommen.

Gerade was die Schadensmodellierung anbetrifft, ist mir noch kein Rollenspiel-Kampfregelsystem untergekommen, daß auch nur das SPORTLICHE BOXEN wirklich realistisch abzubilden in der Lage gewesen wäre. – Und Sportboxen ist nun nicht gerade eine „uralte Kunst, die keiner mehr kennt“, sondern ein moderner, olympischer Amateurs- bzw. Profi-Sport, der sportmedizinisch sehr gut untersucht ist und bei dem wirklich sehr viel gesichertes Wissen über Technik, Anwendung und Wirkung vorhanden ist. Trotzdem stinken selbst ach so realistische Kampfsysteme dabei ab, einen Boxkampf, der über 10 Runden geht, so zu modellieren, daß auch nur ein halbwegs vergleichbarer, d.h. halbwegs realistischer Verlauf dabei herauskommt. Insbesondere bei solchen KAMPF-Sportarten stinken die allermeisten Kampfregeln und – noch deutlicher – die Schadens-Regeln ab.

Verletzungen sind nämlich KEIN SPASS!

Ich laboriere jetzt schon das zweite Jahr an einer üblen Knieverletzung von einem Messerlehrgang herum. Ist echt scheiße, mal besser, auch mal wieder schlechter. Schnell „ausgeheilt“ ist das alles nicht. Und das war nicht einmal eine schwere Verletzung oder so etwas.

Wer schon mal einen gebrochenen Knochen hatte, der weiß, wie sich das anfühlt, was es mit der eigenen Kampffähigkeit anstellt und wie lange es dauert, bis das wieder halbwegs funktionstüchtig regeneriert ist.

Ich hatte in all den Jahren, in denen ich schon mit dem Langstock in unterschiedlichen Stilen trainiere, genau ZWEI Mal echte Wirkungstreffer einstecken müssen. Einmal auf die Finger der linken Hand, ein anderes Mal aufs linke Sprunggelenk. Beide Male war sofort Schluß! Von einer Sekunde auf die andere bestand die gesamte Welt aus SCHMERZ. Ich konnte nichts mehr machen als zu Boden sinken. Dabei waren das Verletzungen, die mir nicht einmal wirklich was gebrochen hatten, aber doch so übelst geprellt, daß der getroffene Körperteil ballonartig anschwoll, der Schmerz so intensiv war, daß ich zu keiner bewußten Handlung mehr in der Lage war. – In vielen Jahren Vollkontakt in philippinischen Kampfkünsten wurde mir auch schon ordentlich eingeschenkt, aber nie so, daß ich nicht die volle Zeit weiterkämpfen und selbst noch gut zurück austeilen konnte. Dagegen waren diese Langstocktreffer wirklich „erkenntnisreich“.

In unterschiedlichsten Vollkontakt-Sportarten tun sich die Ausübenden gegenseitig schon heftige Dinge an. Man lernt dabei, daß man aber trotz heftiger Treffer immer noch weiter agieren kann. Nur in den seltensten Fällen gelingt, gegen einen geübten Gegner natürlich, ein Treffer, der ihn sofort kampfunfähig macht. – „Realistische“ Regelsysteme können diese NEHMERQUALITÄTEN meist nicht abbilden, sondern  tendieren – so mein Eindruck – dazu die Charaktere eher zu schwächlich, zu fragil, als „zu stark“ zu machen. – Aber so fragil sind Menschen nun auch wieder nicht. Vor allem nicht TRAINIERTE Kämpfer!  – Ein Boxer kann einem untrainierten, muskelunterentwickelten Normalmenschen mit einem einzigen Haken die Halswirbelsäule so schädigen, daß monatelange Rehabilitationsmaßnahme fällig ist. Solche Haken steckt derselbe Boxer aber in einem Kampf über mehrere Runden ein und kann noch weiter handeln und ist danach zwar schon regenerationsbedürftig, braucht aber (meist) keine echte medizinische Reha.

Kampfsysteme mit Realismus-Anspruch bilden derartige realweltliche Trainingseffekte von Nehmerqualitäten meist eher schlecht ab.

WARUM will man denn in puncto Auswirkungen von Treffern auf den Getroffenen überhaupt etwas „realistisch“ Modelliertes haben?

Möchte man wirklich im Spiel nach einem einzigenn Schlag mit einer Bierflasche zum Jochbein die chirurgische Rekonstruktion des Gesichtsschädels, einen Rettungsversuch des Auges und den Rest des Lebens lang Beschwerden für seinen Charakter im Rollenspiel haben? – Denn das wäre nämlich realistisch (ist einem Kumpel von mir tatsächlich so passiert, wirklich übel).

Diese Art von Realismus, die realistische Modellierung von Verletzungen, medizinischer Behandlung und Heilungsvorgängen bzw. das Verbleiben von Spätfolgen ist nämlich alles andere als „heroisch“!

Und, seid doch mal ehrlich zu Euch selbst, Ihr Realistiker: auch Ihr wollt doch Hauptfiguren einer interessanten Geschichte spielen, die zäher sind als der Normalbürger und die ständig AKTIV in der Spielwelt was tun können!

Wir hatten in einer Sci-Fi-Runde in den 80ern eine – sogar eigentlich unnötige – Schießerei als SCs abbekommen. Dabei hatte es unseren Navigator übel erwischt. Nach den Heilungsregeln war er jetzt für 6 Wochen(!) im Krankenhaus. Die anderen SCs konnten aber, weil sie Glück hatten und nicht getroffen wurden, einfach so in der Kampagne weitermachen. Nur ihr guter Kumpel lag halt wochenlang rum, bis er überhaupt wieder aus eigener Kraft zu gehen in der Lage war.

Das war das ENDE unserer Runde, denn der Spieler mochte seinen Charakter und wollte keinen neuen basteln. Und wir fanden dieses „aus der Geschichte Rausschreiben“ sehr unbefriedigend.

Auch beim Schaden gilt: Was ist „realistisch genug“?

Diese Überlegung ist SEHR wichtig für Spieleentwickler, da hier ja direkt die über den Charakter (als oft einzige!) vorhandene Eingriffsmöglichkeit in die Spielwelt weggenommen wird.

Monatelange Invalidität ist sogar schlimmer als der Spielercharakter-Tod, weil man ja nicht auf einen Ersatz-Charakter bestehen kann, der eigene bisherige SC lebt ja noch – nur halt im Krankenhaus und auf Reha. Doof.

Schadensmodelle sollen in erster Linie SPASS machen, SPANNENDE Ressourcen-Einsätze bieten und SPANNENDE Einschränkungen bei Wirkungstreffern liefern.

Aber „realistischen Schaden“, das erträgt doch keiner!

Außer natürlich Anhänger des heutzutage tatsächlich immer beliebter werdenden Genres des „Misery Porn“. Schwelgen an Leid, Ohnmacht und Qual des eigenen Charakters (und der der anderen Mitspieler) ist für manche Leute offenbar der „Thrill“, den sie brauchen, um rollenspielerisch noch einen hoch zu bekommen. Ich finde das einfach WIDERLICH.

 

Psychische Traumata und dergleichen

Im obigen Google+-Stream schrieb Torben B.:

… was mir immer wieder aufstößt bei diesen ganzen Waffen-/Schaden-/Tödlichkeits-Realismus-Debatten in Rollenspielen ist meiner Meinung, dass ein wichtiger Faktor außer Acht gelassen wird: die Psyche. Es ist wohl davon auszugehen, dass durch die Geschichte hindurch in aller Regel niemand gerne kämpft bzw. gekämpft hat. PCs in Rollenspielen springen aber in jeden Kampf als ob es eben nicht der Letzte sein könnte bzw. als ob Kämpfe nicht jederzeit weitreichende körperliche und emotionale Folgen haben könnten.

Und er ergänzte:

Ich zumindest denke, dass auch „kampferfahrene“ bzw. „professionelle“ (mit welchem Training auch immer) Kämpfer nicht voll heroischem Tatendrang, himmelhochjauchzend in jeden Kampf, jedes Gefecht, jede Schlägerei ziehen und immer auch mit den Folgen zu kämpfen[!] haben.

Klar, im KRIEG kommt es vor, daß die Beteiligten und die Betroffenen traumatisiert werden. Auch wenn man OPFER von (einseitig erlittener) „ziviler“ Gewaltanwendung wird, können Traumata eintreten. – Aber selbst da nicht immer, nicht bei jedem und nicht, wenn man länger und öfter in solchen Situationen ist.

Man kann sich an Gewaltanwendung von der psychologischen Seite her gewöhnen.

Notorische Schlägertypen sind ziemlich entspannt, wenn sie ein (meist unterlegenes) Opfer zusammentreten. Den Opfern geht es da natürlich anders.

Ich glaube nicht, daß Hooligans „angstvoll“ in ihre selbst provozierten Straßenschlachten mit vorgeschobener Fußballbegründung ziehen.

Den Soldaten in historischen Armeen, vor allem den unfreiwilligen, gepreßten, zum Dienst gezwungenen, wird das anders gegangen sein. Das bildet natürlich auch ein Rollenspiel seltenst ab. – Immerhin, im alten (das aktuelle kenne ich nicht) DSA war „Mut“ ein wichtiges Attribut, das tatsächlich die psychische Einstellung eines Charakters zum Kampf (gröbst) modellieren kann.

Leute in Berufen, die oft körperliche Gewalt ausüben müssen, brechen nicht reihenweise oder gar mehrheitlich mit psychischen Traumata zusammen! (Daß so viele Polizisten hierzulande Selbstmord begehen, liegt nicht an der – eher selten notwendigen – Gewaltanwendung, als viel mehr daran, daß sie nur den Bodensatz der Gesellschaft und des gesellschaftlichen Fehlverhaltens zu Gesicht bekommen. Das zieht viele so runter, daß sie keinen Ausweg mehr sehen.)

Rollenspiel-Charaktere stürzen sich oft mit Hurra in Kämpfe. Natürlich ist das Spielerentscheidung. Aber Kämpfe sind Action-Szenen, spannungsreich, riskant, es geht um was, Entscheidungen bewirken starke Konsequenzen – insgesamt sind Kämpfe also tolle Szenen für die Spieler stark involvierendes SPIEL.

Und in vielen Rollenspielen sind die Charaktere ja auch mit abschätzbaren Kompetenzen modelliert. Man weiß, was der eigene Charakter kann. Und zwar meist in Form von pseudo-exakten Zahlenwerten. – Realiter weiß ich aber nicht, was der leicht angetrunkene Messerschwinger vor mir wirklich an Hitpoints, Angriffsbonus usw. hat. Der kann mich einfach so umlegen! Im Rollenspiel kann ich oft abschätzen, wieviele Treffer durch diesen Gegner aushalten kann, wie wahrscheinlich ich ihn treffe und wie bald ich ihn ausschalten kann.

Bei dergestalter Informationslage stürzt man sich nicht so sehr ins reallebige, einmalige Risko um Leib und Leben, sondern man geht ein kalkuliertes Risiko ein. Und diese Kalkulation wird einem von manchen Systemen wie Pathfinder oder D&D 3E mittels „Challenge Ratings“ und auf „Schaffbarkeit“ maßgeschneiderten Encountern sogar sehr leicht gemacht.

Und dann kommt selbst bei SEHR tödlichen Systemen auch immer noch die Vorstellung der SPIELER von ihren Charakteren zum Tragen. Die meisten Spieler wollen keine jämmerlichen Luschen, keine weinerlichen Jammerlappen und Nichtskönner spielen, sondern stellen sich ihre Charaktere – zu recht! – als HELDEN ihrer jeweiligen Geschichte vor. Und als diese Helden sind sie so oder so in der Vorstellung überlebensgroß, kompetent und härter im Nehmen. Härter als es das Regelsystem und die darin verwandten Spielwerte des Charakters vielleicht abbilden.

Ich habe schon Cthulhu-BRP-Runden erlebt, in denen die Charaktere Indiana-Jones-Action versucht hatten – mit den wohl jämmerlichsten Prozentwerten in den relevanten Fertigkeiten, die dieses schlecht gealterte System Charakteren verpaßt. Das ging natürlich mit dem schmählichen Tod des jeweiligen Charakters bei POPELIGEN Akrobatik-Einlagen aus. – Hier merkte man deutlich, daß der Spieler eigentlich einen coolen Action-Archäologen spielen wollte, das Regelsystem ihm aber eine ungelenke Lusche serviert hat.

Spieler stellen sich manchmal ihre Charaktere signifikant anders vor, als es deren Spielwerte-Modellierung ausdrückt. Damit gehen die Charaktere in-game größere Risiken ein, als ein „realistischer“ Bewohner der Spielwelt mit denselben Eigenschaften überhaupt in Erwägung zöge.

Seelischer Schaden: Was ist realistisch genug?

Die hier im Stream aufgeführten Punkte zu Traumata möchte ich natürlich nicht zurückweisen, sondern nur darauf hinweisen, diese nicht zu überschätzen.

Ja, es gibt einige Afghanistan-Heimkehrer, die traumatisiert sind. Aber das ist nicht die Mehrzahl. – Das heißt nicht, daß man sich nicht darüber Gedanken machen sollte, das heißt aber, daß es eben solche und solche Menschen gibt. Solche, denen ständiges Lebensrisiko und das Töten anderer Menschen nicht viel ausmacht, und andere, die darauf sensibler reagieren.

Reale Menschen sind auch nicht so seelisch fragile Mimosen, wie man vielleicht meint. Manche, ja. Aber nicht so viele, daß man das auch zwingend in einem „realistischen“ Kampfsystem unterbringen müßte.

Manche Systeme bilden ja auch psychische Effekte z.B. schwerer Verwundungen ab. In Mutant Chronicles 3 bekommt ein Charakter bei Erleiden schwerer oder kritischer  Wunden (die für sich genommen abstrakt behandelt werden) „Dread“, eine negativ wirkende psychische Schadensart. Bei Conan 2D20 sind manche Angriffe mit der Qualität „Fearsome“ ausgestattet, die neben körperlichem Schaden auch seelischen Schaden, „Trauma“, erzeugt. – Solche Modellierungen von psychischen Effekten gibt es durchaus, und das auch in doch eher cinematisch ausgerichteten Systemen wie Mutant Chronicles 3 oder Conan 2D20, weil in beiden neben cinematischer Action auch ein wenig „Grusel-Effekte“ zum Genre gehören. Die Motivation dahinter ist also weniger der Realismus, als viel mehr den Grusel auszulösen, um die jeweilige physische UND psychische Bedrohung als noch spannungserregender umzusetzen.

Auch hier wird nicht die über Jahre oder gar Jahrzehnte währende dauerhafte Traumatisierung, die ja auch Therapie bedarf, sich eventuell gar zu weiteren psychischen Krankheitsbildern verschlimmern könnte, abgebildet. Das ist ähnlich wie bei physischen Verletzungen: Was davon ist noch für das Spiel FÖRDERLICH?

NIEMAND will seinen Charakter wirklich als Dauerbehandlungsfall für den „Shrink“ ausspielen.

 

Wo kann man sich nun informieren, wenn man mehr wissen will?

Sophia hatte ja nach Informationsquellen zu historisch akkurat(er)en Angaben über Rüstungen und Waffen (mittelalterlicher Ausrichtung) gefragt. Die im oben verlinkten Google+-Stream aufgeführten Tipps bei HEMA, ARMA, und anderen Seiten zum historischen Fechten nachzuschauen helfen da sicher schon weiter, greifen aber meiner Ansicht nach zu kurz.

Die Themen dieser Rekonstruktionen sind schwerpunktsmäßig DUELLE. Zweikämpfe, nicht der Kampf in militärischen Formationen, Haufen, Armeen, usw.

Nur, diese Zweikämpfe stellen ja nur einen kleinen Teil der historisch relevanten Kampftechniken und -taktiken dar. Vor allem formelle Duelle sind seltener als rein informelles Sich-gegenseitig-irgendwie-Umbringen, das die Menschheit garantiert ihre gesamte Evolutionsgeschichte lang schon praktiziert hat. „Zivile“ Gründe seinen Mitmenschen zu massakrieren finden sich immer – und leichter als Kriege angezettelt werden können (wobei das heutzutage ja deutlich einfacher geworden ist, wie man aus den Tagesnachrichten immer wieder entnehmen kann).

Will man aber abseits vom Zweikampf, vom Duell oder der Selbstverteidigung, wissen, was es mit historischem Waffeneinsatz auf sich hat, dann geht am Studium der Militärgeschichte nichts vorbei. Will man wirklich wissen, wie man mit Angelsachsen-Schild-und-Speer historisch korrekt gekämpft hat, will man wissen, unter welchen Umständen Bogenschützen in historischen Kriegen tatsächlich eingesetzt wurden, will man wissen, wie schwere Kavallerie tatsächlich im Kampf verwandt wurde, dann braucht man diese militärhistorische Recherche.

Viele Rollenspiele bieten den Charakteren die KRIEGS-Rüstung und -Ausrüstung militärischer Truppen zur Auswahl beim „Shoppen“ für den Charakter, ohne aber dem sehr auf tatsächliche Kriegssituationen auf dem Felde beschränkten Einsatz und der damit auch deutlich beschränkten Nützlichkeit abseits des Kriegseinsatzes dieser Ausrüstung Rechnung zu tragen. – Da kommen dann als „Einzelkämpfer“ Charaktere daher, die in ihrer Rüstung und Ausrüstung nur als Teil einer Formation römischer Legionäre des 1. Jahrhunderts Überlebens-Chancen hätten. Andere kommen zu Fuß daher, obwohl ihre gesamte Ausrüstung nur als mobiler Kavallerist taugt.

Ist nicht schlimm, aber eben auch nicht realistisch.

In Rollenspielen ist auch regelseitig der Fokus sehr stark auf dem Duell. – Viele Kampfsysteme zerlegen ja auch die Kampfhandlung in individuelle „Duelle“, linearisieren die Initiative, Minimalisieren die Kooperation der Kämpfenden. Die Kooperation mehrerer Kämpfer ist selten Gegenstand der Modellierung noch so „realistischer“ Kampfsysteme. Dabei ist das natürlich gerade die Stärke bestimmer historischer Krieger (siehe Schildwall).

Schaut man sich mal an, wie vier Schlägertypen einen einzigen, den sie aufmischen, angehen, dann sieht man, was von Duellen als „realistischem“ Modell zu halten ist. In der Selbstverteidigung ist die Verteidigung gegen zwei Gegner schon VERDAMMT SCHWIERIG, gegen vier oder sechs Gegner kann man nur nach viel und intensivem Training und/oder in besonderen Situationen etwas ausrichten. – Klar gibt es echte Meister, denen das gelingt. Und Glückspilze, die man in ihren Youtube-Videos bewundern kann, die gegen eine Übermacht unbeschadet herausgekommen sind, gibt es auch. – Aber es ist eben alles andere als ein Duell, als ein Zweikampf, wenn mal eine Gruppe Gegner kooperiert und einen in die Zange nimmt.

Auch ganz übel: Messerkampf. Eigentlich ist Messerkampf kein KAMPF, sondern ein Mordversuch. Ein Messer in einer realen Situation sieht man oft nicht, sondern man merkt erst NACH dem Treffer, daß es ein Messer war und kein Fauststoß, der einen erwischt hat. – Messer ist so dermaßen übel als Waffe, daß ich nur sehr, sehr wenige Rollenspiele kenne, die der tatsächlichen Tödlichkeit von Messern Rechnung getragen haben.

Insoweit finde ich auch die uralte D&D-Regel passend, die ALLEN Waffen DIESELBEN Schadenswerte verpaßt. Letztlich ist es ja egal, ob einem die Halsschlagader durch ein Obstmesser oder eine Big-Ass-Zweihänder zerteilt wurde. Tot ist man dann trotzdem und sogar aus demselben physiologischen Grund.

Aber Leute haben ihre Vorurteile, ihren Aberglauben. Danach muß ein großes Schwert doch mehr Schaden (siehe oben) machen, als ein kleines Messer. Klar. Kann man so sehen – vor allem, wenn es der Charakter-Individualisierung (nicht also dem Realismus) dient, ist das kein Problem: Messer sind halt die ganz winzig kleinen Schwerter und machen daher viel, viel weniger Schaden. Oder so.

Realistisch genug, um die eigenen aus Medienkonsum geprägten Erwartungen zu befriedigen.

Und das ist auch mein Tipp für die Quellenrecherche: Man schaue sich die Filme, Serien, Comics usw. an, die einen ANSPRECHEN. – DAS ist dann die EIGENE Vorlage für den EIGENEN „Realismus“.

Was anderes will doch realistischerweise eh niemand.

 

Soweit meine Sicht. Und wie ist Eure?

Da dies natürlich ein Beitrag mit reiner ANSICHTSSACHE ist, dürfte es jede Menge anderer Meinungen dazu geben. Falls Ihr Lust habt, dann „geigt mir Eure Meinung“ hier in den Kommentaren oder im zugehörigen Thread im RSP-Blogs-Forum.

2 commenti su “Realismus! – Wirklich?

  1. Vielen Dank für diese ausführliche und sehr interessante Präsentation!

  2. alexandro sagt:

    Ein Problem, welches ich festgestellt habe: je realistischer die Regeln sind, d.h. je mehr simuliert und verregelt wird, desto unrealistischer werden die tatsächlichen SpielSITUATIONEN.

    Denn wenn man alles säuberlich durchrechnen kann (und sich dafür auch die nötige Zeit nehmen MUSS), dann trifft man unweigerlich andere ENTSCHEIDUNGEN, als wenn man die Entscheidung (wie normalerweise) „aus dem Bauch heraus“ trifft.

    Ich habe also viel lieber Regeln, die ungefähr eine Richtung vorgeben, und dann Ergebnisse produzieren die „ungefähr“ in die Spielwelt passen (wobei man sich statistische Ausreißer zurechterzählt) als solche bei denen all das, was für Rollenspiel relevant ist, zuhause im stillen Kämmerlein stattfindet, ohne dass man einen Austausch mit der Gruppe pflegt.

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