[Karneval der Rollenspiel-Blogs] Veralten Rollenspiele?

Logo des Karnevals der RollenspielblogsDas Thema des Karnevals der Rollenspiel-Blogs für den Monat Mai ist „“Zeit und Rollenspiel“. In unserer wirklichen Welt sind Rollenspiele Produkte wie viele andere. Damit sind sie auch den üblichen Alterungsprozessen unterworfen, die ein jedes Produktfeld so erfahren muß.

Rollenspiele werden neu erstellt, sind gerade in Mode, werden verbreitet oder auch nicht, geraten aus der Mode, in Vergessenheit, aus den Regalen in die Restetonne und verschwinden eventuell gänzlich aus dem Kollektivgedächtnis der heute noch aktiven Rollenspieler. Das ist der normale Produktlebenszyklus, der eben auch für Rollenspiele relevant ist.

Ich möchte in diesem Artikel den Blick auf das VERALTEN von Rollenspielen lenken, schauen, was denn alles an einem Rollenspiel veralten kann, warum es veraltet, wie mit veralteten Rollenspielen umgegangen wird.

Können Rollenspiele überhaupt veralten?

„Rollenspiele veralten doch nicht! Man kann doch auch noch so alte Spiele immer noch spielen!“ Solche entrüsteten Ausrufe gibt es ja tatsächlich. Und ganz verkehrt ist diese Einschätzung sicher nicht, wie ja unter anderem die zahlreichen Anhänger alter und ältester D&D-Versionen der Old School Renaissance (OSR) belegen.

Daher möchte ich hier erst einmal die Bereiche betrachten, in denen ich ein MÖGLICHES Veralten von Rollenspielprodukten sehe.

Aufmachung

Wie ein Produkt präsentiert wird, ist SEHR von der Zeit, in der es erstellt wird, abhängig. Als Rollenspiele noch ein junges Hobby waren, waren die Gestaltungsmittel für die Rollenspielprodukte, die technischen, die handwerklichen und die kreativen Möglichkeiten andere – und zwar deutlich begrenztere als heute. Was heutzutage ein „Ein-Mann-Verlag“ an Aufmachung und sonstigen Produktqualitäten im Alleingang abliefern kann, läßt die ersten kommerziellen Rollenspielprodukte geradezu steinzeitlich anmuten: kaum Illustrationen, krude mit Schreibmaschine getippter Text, miese Papierqualität, schlechte Textorganisation, Fehler über Fehler, insgesamt unschöne und schwer benutzbare Produkte.

Die Aufmachung von Rollenspielen ist für mehrere Punkte entscheidend: Für die VERKAUFBARKEIT (wenn es scheiße aussieht, kauft es keiner), für die LESBARKEIT (wenn es eine Qual ist, den Text auch nur zu lesen, dann wird es kaum jemand tun), für die SPIELBARKEIT (wenn es so unstrukturiert und schlecht organisiert ist, daß man die wichtigen Passagen kaum oder erst nach langem Suchen findet, dann wird es kaum jemand spielen). – Ein Rollenspiel, das nicht gespielt wird, wird kaum in der Lage sein Zusatzmaterialien an den Mann zu bringen und kaum neue Leute über das Mitspielen am Spieltisch zum Kauf zu begeistern. Ein Rollenspiel, das nicht gelesen wird, wird es gar nicht erst an den Spieltisch schaffen und nur im Regel vermodern. Ein Rollenspiel, das auf den ersten Blick abscheulich aussieht, wird überhaupt nicht erst gekauft werden.

Darin unterscheiden sich Rollenspiele kaum von anderen „buchartigen“ Produkten. Doch war 1973 wohl schon eine andere Kundenzielgruppe vorhanden, die die krude, schmuddelige OD&D-Erstauflage erworben hat. Auch das alte Midgard von 1981, kleine A5 klebegebundene, schmucklose Büchlein mit leseunfreundlicher Schrifttype und kruden „Kinderzeichnungen“ als Illustrationen sprach andere Kundengruppen an, als man HEUTE potentiell in den Läden und Online-Shops findet.

Heute ist die Optik ENORM wichtig. Kickstarter-Projekte verkaufen sich praktisch nur über die Optik, der Inhalt, die Spielbarkeit, die Textorganisation, all das spielt nicht die wichtigste Rolle hinter anregenden Illustrationen, durchgängigen Farbkonzepten, stimmiger Aufmachung. Die Produktreihe zum Engel-Rollenspiel wirkt mit dem Gold-und-Weiß der Aufmachung aus einem Guß, gefällig, aber dennoch irgendwie einzigartig. Das Dresden-Files-Rollenspiel wurde nur zum Teil über die Bekanntheit der Harry-Dresden-Romane an den Mann gebracht, ein wesentlicher Teil für den Erfolg ist in meinen Augen die durchgängige, optisch opulente Verwendung der Zeichnungen aus den Dresden-Files-Comics. – Und aktuell mein Favorit für das Rollenspiel des Jahres 2014, Atomic Robo RPG, kommt mit durchgängig als Comic gestalteten Beispielen für die Regelanwendung daher, so daß man sowohl das Genre und seine Versatzstücke am direkten Vorbild vermittelt bekommt, als auf exzellent klar verständliche Weise die Regelmechaniken verstehen und anwenden lernt.

Vergleicht man OD&D mit Atomic Robo RPG, dann liegen dazwischen nicht nur 41 Jahre, sondern WELTEN an Qualitätsaspekten!

Rollenspiele der „alten Zeiten“ mögen sogar in ihrer Zeit „State of the Art“ gewesen sein, können heute aber kaum noch jemanden von der Aufmachung her begeistern und wirken sogar bisweilen eher unfreiwillig komisch.

Wenn man sich die „Disco-Queen“-Mädels und „Vokuhila“-Jungs auf den Illustrationen vieler 80er Jahre Rollenspiele anschaut, dann konnte man damals solche „Charakterköpfe“ zwar in Fernsehen, Film und – in der reallebigen Ausgabe – in der Disco sehen, aber heute schaudert es einen doch arg diese „Automechaniker und Friseusen“ zu sehen.

Die AUFMACHUNG von Rollenspielprodukten dürfte das Feld sein, welches sich am SCHNELLSTEN mit den jeweiligen MODEN der Zeit wandelt. Was vor 10 Jahren noch optisch ansprechend war, kann heute der blanke Graus sein. Und was vor 10 Jahren schon eher mau oder gar mies war, das läßt einen heute nicht einmal mehr „wohlig erschauern“, sondern kostet glatt Sanity!

Alte Rollenspiele sehen oft einfach ALT aus! (Und riechen nach alten Leuten!)

 

Veröffentlichungsform

Das gehört eigentlich noch mit zur Aufmachung, doch sehe ich es als wichtig genug an, hier einen eigenen Abschnitt zu verwenden.

Früher waren Rollenspiele wie normale Gesellschaftsspiele oder die damals zahlreichen CoSims (Konfliktsimulationsspiele, meist mit Hex-Feld-Karten und Unmengen kleinen Papp-Markern) als BOXEN im Handel. – White Box, Blue Box, Deluxe Traveller Box, RuneQuest Box, usw.

Boxen sorgten dafür, daß die Rollenspiele im normalen Spielwarenhandel bzw. in den einschlägigen Hobbyshops für andere „seltsame“ Gesellschaftsspiele (wie eben CoSims) landeten.

In Boxen war oft ALLES DRIN, was man zum Spielen brauchte: Regeln (manchmal nur dünne, umschlaglose Heftchen, keine Bücher wie heute), Würfel, Stifte (sogar Wachsmalstifte, um die Zahlen auf den Würfeln anzumalen!), Charakterbögen (in Ermangelung einfach verfügbarer Photokopiergeräte sogar als Produkt im Block verkaufbar, was man heute nicht mal in Erwägung ziehen bräuchte), Bodenpläne, Papp-Marker, weitere Spielmaterialien. – Eine Box, zumindest eine „Grundbox“ hatte KOMPLETT SPIELBAR zu sein! – Heute werden oft selbst für Einsteiger konzipierte Grundregelwerke nur als „nackter“ Text ohne das notwendige Spielmaterial „drumherum“ veröffentlicht. Aber die Boxen kommen wieder: Arborea, D&D-Next-Einsteigerbox, sogar eine Splittermond-Einsteiger-Box wurde ja versprochen.

Von den Boxen „mit allem, mit scharf“ wurde bald der Weg zu reinen Textproduktformen, Broschüren oder „richtigen“ Büchern beschritten. Hatte Abenteuer in Magira noch kleine handgeheftete A5-Heftchen mit einem händisch AUFGEKLEBTEN (!) Photo als Titelbild, gab es von Midgard als Midgard 2 bald eine solide, ansehnliche A4-Buchausgabe (in zwei Bänden). – Traveller, das als Box mit den Little Black Books, kleinformatigen, fast nicht illustrierten „Textwüste“-Heftchen seinen Beliebtheitssiegeszug, der ja bis heute anhält, antrat, erschien dann auch bald in einer großformatigen Softcover-Ausgabe. – Und natürlich AD&D! Das FORTGESCHRITTENE D&D mußte sich nicht mehr in die engen Kartons mit lauter Kroppzeug an Würfeln und Wachsmalern zwängen, sondern kam ans EXTREM SOLIDE Hardcover-Bände heraus. (Mein AD&D 1st Ed. Players Handbook hat Sachen mitgemacht, die aufsummiert gleich mehreren Feldzügen härtestem Kriegseinsatzes entsprächen – und es hält immer noch! DAS nenne ich ein HARD-Cover!)

Boxen mit Spielmaterial wurden zu Büchern, in denen „über das Spiel“ geredet wurde.

Bücher mit Regeltexten ohne viele Schnörkel und mit kaum irgendwelchem Fluff (AD&D, Traveller, Midgard) wurden mit „stimmungsvollen Kurzgeschichten“ garniert, eben WEIL es BÜCHER waren, die man auch mal einfach so LESEN kann. – OHNE sie zu spielen!

Regelbücher, Regionenbände, „Abenteuer“ – alles wurde mit „romanhaften“ Einlagen an Seitenvolumen aufgebauscht und lud mehr zum Lesen als zum Spielen ein. Geboren wurde der Rollenspielkunde, der die Bücher „nur zum Lesen“ kauft! – The game is the thing? Nicht für diese Kunden!

Parallel – Dragonlance, Shadowrun, aber schon früher bei Terra Fantasy MAGIRA – gab es natürlich ROMANE zu Rollenspielsettings. Diese machten keinerlei Anstalten mehr irgendwas mit dem SPIEL-Aspekt dieser Produktreihe zu tun zu haben. – Und viele der Romanreihen waren enorm erfolgreich. Sprachen andere Kundenkreise an, als man mit dem eigentlichen Rollenspielhobby erreicht hätte. Manchen Lesern war nur dumpf bewußt, daß es wohl ein Spiel zu den von ihnen geschätzten Romanen geben mochte, aber sie waren nicht am Spiel interessiert.

Die „nackten“ Texte waren aber nie ganz verschwunden, auch wenn Romane und romanhaft auschweifende „Stimmungsgeschichten“ manche Rollenspielproduktreihen geradezu zu UN-Spielen zu machen schienen.

Mit den 2000ern kamen mehr und mehr elektronische Produkte zum Zuge. Abenteuer, bei denen sich ob der geringen Auflage und des voraussichtlich geringen Absatzes ein Druck nicht lohnen würde, machten hier den Anfang. Aber auch ganze Regelwerke kamen parallel oder sogar vor dem Druckwerk elektronisch heraus. – Auch wurden „virtual boxed sets“ rein elektronisch produziert, in denen man (oft sogar inklusive ausdruckbarer, zusammenklebbarer Papp-Würfel) wie in den alten Zeiten ALLES an Spielmaterial zusammen erhielt – nur mußte man es eben selbst ausdrucken.

Heute gibt es viele sehr erfolgreiche Reihen rein elektronischer Produkte und auch die irgendwie unter dem „Neuland“-Syndrom leidenden deutschen Verlage und – noch mehr! – deutschen Kunden entdecken die elektronischen Möglichkeiten der Veröffentlichungsform von Rollenspielen für sich.

Für mich und meinen persönlichen Bedarf sind z.B. gedruckte Ausgaben von Abenteuer-Publikationen für Rollenspiele nutzlos. Die kann ich nur lesen, aber wenn ich sie zum Spielen einsetzen will, dann will ich sie elektronisch vorliegen haben, selbst bearbeiten können, sie auf dem Tablet an den Spieltisch mitnehmen können oder Handouts und dergleichen für Hangout-Runden im Videochat zeigen können. Andere Anforderungen als an D&D-Module Ende der 70er!

Für „vollelektronische“ Rollenspieler sind viele der alten Print-Produkt-Vorstellungen der Verlage einfach nicht mehr zeitgemäß.

Aber heute würden sich auch nur Nostalgiker dröge, schmucklose, krude Pappboxen mit weichen Plastikwürfeln andrehen lassen.

Auch die Veröffentlichungsform eines Rollenspiels ist den Moden und dem Wandel der EINSATZPRAXIS unterworfen.

Alte Veröffentlichungsformen bedienen nicht die heutigen praktischen Spieler-Erfordernisse. (Und werden daher auch nicht gespielt.)

 

Spielwelt-Technik

Das ist wohl einer der offensichtlichsten Punkte, an denen eine Veraltung von Spielwelten feststellbar ist. – „Was heute noch wie ein Märchen klingt, kann morgen Wirklichkeit sein. Hier ist ein Märchen von übermorgen: “ sagte man in der Einleitung zu den Folgen der Serie Raumpatrouille. Und wir leben tatsächlich im Übermorgen!

Fantasy geht immer und hat diese Veraltungsprobleme weit weniger. Wenn man in einer nostalgisch-heile-Welt-verklärten Low-Tech-Spielwelt spielt, dann ist solch eine Welt wie Glorantha aus den 1960ern, Greyhawk aus dem 1970ern, Midgard aus den 1980ern, usw. auch heute immer noch „überzeugend genug“. Der handgeknetete Ziegenkäse und die fußbetriebene Töpferscheibe veralten halt nicht so schnell wie TONNENSCHWERE Computer in Traveller, Datenbuchsen in Cyberpunk-Rollenspielen oder Kommunikatoren in StarTrek.

Gerade die Sci-Fi-Rollenspiele, insbesondere die Near-Future-Sci-Fi-Rollenspiele, haben hier mächtig unter der offensichtlichen Veraltung der technischen „Prognosen“ zu leiden. Wer heute noch Cyberpunk mit Datenbuchse spielt, der spielt ebenso Retro-Sci-Fi wie wenn er Pulp-Sci-Fi mit Degenduellen auf den Stummelflügeln von Warrocket Ajax spielen würde. – Alles technisch überholter Kram, der von den Spielern eher erfordert ihren „Zweifel der Realwelterfahrung“ in den Besenschrank zu sperren und die haarsträubende RETRO-Sci-Fi zu genießen. – Was hierbei komplett durch Veraltung vergeht, ist das „Staunen und Wundern“ über die zukünftigen technischen, ja geradezu magisch anmutenden Möglichkeiten.

Manche Rollenspielproduktreihen versuchten sich an einer Auffrischung der technischen Settingausrichtung, der Einführung der drahtlosen Möglichkeiten in Shadowrun z.B., doch kippt hierbei oft jegliche Spielbalance ob der geradezu zur technologischen Singularität mutierten Spielwelttechnik. – Transhumanismus, Posthumanismus, künstliche Intelligenzen, das ist alles Stoff, der den heutigen Menschen geistig (und seelisch) komplett überfordert. Und so auch die entsprechenden Spieler.

In Transhumanismus-Rollenspielen wird effektiv meist einfach eine Art „Fantasy“ gespielt. Das essentielle Thema des Transhumanismus, wie er das gesamte DENKEN und die gesamte GESELLSCHAFT verändert, das ist auch wirklich schwer am Spieltisch anzubringen. Vor allem in einem Unterhaltungsmedium wie dem Pen&Paper-Rollenspiel.

Veraltete Spielwelt-Technologie wirkt auf heutige Spieler unfreiwillig komisch und innere Akzeptanzwiderstände auslösend. (Daher wird so etwas eher in „comedy-haften“ Retro-Runden gespielt, weil es niemand mehr ernst nehmen kann.)

 

Gesellschaft

Gesellschaftliche Entwicklungen springen einem oft nicht so ins Auge wie die technischen. Dennoch ist es schon deutlich spürbar, aus welcher Zeit ein Rollenspiel stammt, wenn man sich die Darstellung gesellschaftlicher Spielweltaspekte anschaut und mehr noch die implizierten gesellschaftlichen REALWELTaspekte, die aus der Art der Formulierung von Regeltexten, der Schilderung der Spielwelt, dem gewollten Gameplay, usw. hervorgehen.

Was früher erstrebenswerte Eigenschaften in der Realwelt-Gesellschaft waren, wurde auch als Erwartung an die Spieler kommuniziert – via Regeln und Settingdarstellung. Dazu ein bekanntes Beispiel: D&D.

Altes D&D wird mit „Kampf ist KRIEG“ gut beschrieben. Man versucht Kämpfe zu vermeiden und, wenn sie sich nicht vermeiden lassen, die Gegner massiv zu überwältigen, um eigene Verluste zu minimieren. Hier ist gute Kooperation aller Beteiligten notwendig und niemand darf hier zimperlich sein und das Überleben aller gefährden. – Altes D&D stammt aus der Zeit der Wehrpflicht und des Kriegseinsatzes in Vietnam, etwas, das damals den Machern und jedem (männlichen) Spieler drohen konnte. Die Erwartung an „richtiges Verhalten“ ist hier eine deutlich andere als später.

Mit D&D 3E und noch mehr 4E wandelte sich diese Ausrichtung aber in „Kampf ist Wettkampfsport„. Hier geht es nur darum im mehr oder weniger risikolosen Ressourcen-Abzugs-Konflikt sportlich die Oberhand zu behalten und „das Match“ zu gewinnen. Fair and square. – Das ist geradezu die Umkehrposition zum alten D&D. – Auch heute ist die USA massiv in Kriegseinsätzen gebunden, aber es sind nicht mehr die Gesellschaftsspiele, die den Nachwuchs „auf die richtige Bahn“ bringen sollen, sondern die Computerspiele, allen voran die Taktik-Spiele. Das Pen&Paper-Rollenspiel ist eher in den sonst in den USA so verbreiteten allgegenwärtigen „Wettbewerben“ angekommen. Der Wettbewerb zieht sich vom Kindergarten bis ins Erwachsenenleben durch – und daher sind auch die Spiele, die eine größere Zahl Kunden finden sollen, eher auf Wettbewerb zugeschnitten.

Die Unterschiede von OD&D und D&D 4E kann und sollte man als „unterschiedliches Gameplay“ betrachten. Aber hinsichtlich dessen, was in den Spielwelten so passiert hat dieses unterschiedliche, von anderer Regelausrichtung geprägte Gameplay MASSIVE Auswirkungen! – Die von alten Ausgaben auf 4E „aktualisierten“ D&D-Settings sind anders, sind mit ihren Vorläuferausgaben kaum noch in Verwandtschaft zu bringen.

Andere Gesellschafts-Aspekte haben sich auch deutlich geändert: Geschlechterrollen.

„Political Correctness“ ist der Begriff. In den 70ern war Rollenspiel aus US-Landen eine Spiel für Jungens und junge Männer. Niemand dachte sich etwas dabei die Frauendarstellung in alten Rollenspielen mal auf „Sexismus“ zu prüfen. Das sieht heute ziemlich anders aus. Da wird gerade bei Neuentwicklungen oft auf eine zumindest zahlenmäßige Gleichstellung geachtet: Gleichviele Illustrationen mit weiblichen wie männlichen Charakteren, Beispiele im Text mit wechselndem Geschlecht, ja im normalen Regeltextfluß ständiger Wechsel zwischen „sie“ und „er“ oder Deklaration des Spielleiters als „Spielleiterin“ während die Spieler alle männlich sind. – Man mag von solchen Sprachverbiegungen halten was man will (und vor allem daran zweifeln, ob sie überhaupt die dadurch beabsichtigte Wirkung enfalten können), aber neuere Rollenspiele werden anders geschrieben.

Und nicht nur die Geschlechter (auch alle „sonstigen Formen“), sondern auch die sexuelle Ausrichtung wird bei neueren Spielen berücksichtigt. Da finden sich explizite Angaben hinsichtlich lesbischer, schwuler, bisexueller und sonstiger Ausrichtung in Spielen, bei denen das auch noch vor 20 Jahren undenkbar gewesen wäre. – In der heutigen Zeit haben manche Spieleentwickler heutige politische Agenda in ihre Spiele hineinentwickelt. – Diese gesellschaftlichen Änderungen im Hinblick auf Geschlecht und sexuelle Orientierung sind auch bei den großen Produktreihen angekommen.

Natürlich konnte man auch schon in alten Rollenspielen die Spielwelten toleranter gestalten, in historischen Settings die klassischen diskriminierten Gruppen (z.B. Frauen, Asiaten, Schwarze, Mexikaner, etc. in Western-Rollenspielen) auf eine gleichberechtigte Ebene anheben. Das war natürlich immer Sache der jeweiligen Spielgruppe. Später wurden dazu auch explizite Hilfestellungen in Rollenspielprodukten angegeben bzw. Alternativhistorien, statt simulativer „realweltlicher“ Historie mit anderen Gegebenheiten bezüglich der Rolle der Frau und der von ethnischen Minderheiten konstruiert. In moderneren und Sci-Fi-Settings war das so oder so meist kein Problem, da hier oft von einer Art „utopisch toleranten“ Gesellschaft ausgegangen wurde. Was einem auch leicht fallen sollte, wenn in manchen Sci-Fi-Settings ein ganzer „Zoo“ an Fremdrassen herumspringt, so daß ein schwarzer oder roter Erdenbürger wirklich nicht auffällt.

Alte Rollenspiele sind oft nicht gerade „political correct“. (Und sind heutzutage nicht mehr „gesellschaftsfähig“ – wie ja auch Pippi Langstrumpf keine „Negerprinzessin“ mehr sein darf.)

 

Regeln

Mit Regeln ist hier einerseits die Regelmechanik, die Art der Mechanismen und wie sie präsentiert werden, gemeint, anderseits auch das beabsichtigte Gameplay, also wie wirklich mit den Regeln am Tisch umgegangen wird und was die Regeln die Spieler wirklich am Spieltisch tun lassen. – Und hier hat sich so einiges geändert, kamen so einige neue Strömungen auf, die in heutigen Produkten oft schon ganz unauffällig und unaufgeregt eingebaut werden (wie die „Gummipunkte“, welche ja jetzt auch bei DSA5 Einzug halten werden).

Über die Entwicklung unterschiedlicher Ausrichtungen des Rollenspiels von seinen Wargame-Wurzeln zu Richtungen wie extremer Simulation, narrativer Style-over-Substance- und Drama-Ausrichtung, zu kompetetitivem Wettkampfspiel oder brettspielig haptisch intensivem Gesellschaftsspiel wurde ja schon vielerleiorts lang und breit einiges dargelegt.

Die Ausrichtungen, welche aktuell in Mode sind, entscheiden natürlich darüber, ob sich ein neues Rollenspiel verkauft oder nicht. Altbacken wirkende Neuprodukte begeistern kaum jemanden, hingegen kann ein Produkt, das nur die Versatzstücke erfolgreicher anderer Produkte kopiert, bestens ankommen und reichlich Abverkäufe generieren.

Regelsysteme sind der Mode genauso unterworfen wie andere Produktelemente.

D&D 4E hat sich kräftig bei einigen der für Indie-Games typischen Mechaniken bedient. Viele Regelsysteme, die früher mit absoluter „Ergebnishärte“ konzipiert wurden (Ein Wurf entscheidet, es gibt kein Zurück.), haben nun Gummipunkte eingeführt, mit denen diese harten Ergebnisse durch Wurfwiederholung oder anderweitige Änderung, noch bevor sie als FAKT in der Spielwelt umgesetzt wurden, aufgeweicht werden. – Man kann hier Einflüsse aus der Computerspiele-Gewohnheit save-games zu setzen, erkennen. Die heutigen Spieler wollen es vermutlich mehrheitlich nicht mehr so ergebnishart, wie man es früher ganz selbstverständlich akzeptierte. – Oder hätte man auch früher gerne mit mehr Gummipunkten gespielt, nur gab es sie in den alten Systemen nicht?

Auf jeden Fall kann man auch hier die aktuelle Mode der Gummipunkte als Zeichen heutiger, zeitgemäßer Rollenspiele feststellen. Ältere Rollenspiele, bei denen man ja – wie bei Traveller – sogar schon bei der Charaktererschaffung seinen Charakter verlieren konnte, entsprechen der heutigen Mode nicht.

Aber nicht nur die Regeln selbst, sondern auch die vom Regelsystem implizierte Spielstruktur hat sich gewandelt.

Das Rollenspielhobby ist in seinen aktiven Ausübenden nicht mehr so jung wie früher. Damit sind die Aktiven älter und haben all die Zeitprobleme, die man als erwachsener Mensch im Berufsleben mit Familie etc. so hat. – Das alte Rollenspielhobby ist eher auf ENDLOSKAMPAGNEN ausgerichtet als auf andere Spielformen.

Heute ist hingegen die KURZE Form, kurze Abenteuer, kurze Kampagnen, eng gestrickte, mit klarem Ende versehene Abenteuerpfade das, was sich verkauft. – Klar, Ausnahmen gibt es auch heute noch. Leute, die über ausgesprochen viel Zeit verfügen und langjährige Kampagnen mit wöchentlichen Spielsitzungen spielen, gibt es schon noch. Aber nicht genug, um das gesamte Regelsystem auf diese Art von Langzeitspiel auszurichten. – Da fließen dann auch die Belohnungsmechanismen ein, die Charakterentwicklungsregeln, usw.

Heute ist die Ad-Hoc-Belohnung durch Gummipunkte oder das sich selbst die XP „abholen“ viel beliebter als nach monatelangem Spiel endlich mal ein paar XP zu bekommen und eventuell ein wenig Charakterkompetenzsteigerung als Belohnung für das gute Spiel zu erhalten.

Auch die Spielsitzungsdauer ist in meinen Augen kürzer geworden. Waren in den Achtzigern Spielsitzungen von 8, 10 oder mehr Stunden noch die Norm (und zwar JEDES Wochenende und oft auch noch mal wochentags), so ist heute unter der Woche eine 3 bis 4 Stunden dauernde Sitzung schon das höchste der Gefühle, am Wochenende darf es auch nicht wesentlich länger gehen, damit die Familienmitglieder nicht schimpfen, weil man die Samstagnacht durchgespielt hat und am Sonntag dann wie ein Zombie daherkommt.

Heutige, zeitgemäße Spiele minimieren den Aufwand zur Charaktererschaffung, den Verwaltungs- und Buchführungsaufwand vor, während und nach dem Spiel und lassen in kurzen Sitzungen schon befriedigende Spielerlebnisse zu. Und sie fordern insbesondere vom Spielleiter nicht mehr die enormen Zeitaufwände, die alte Rollenspiele zur Rundenvorbereitung benötigten.

Alte Rollenspiele sind heutzutage zu langsam und auf zu langdauerndes Spiel ausgelegt. (Heute verlieren Spieler, gerade auch Nachwuchsspieler, schnell die Geduld und wollen neue, andere „Thrills“, statt in einer wöchentlichen Sandbox-Kampagne Hexcrawl mit langsamem Charakteraufstieg zu betreiben.)

 

Rollenspiele können also doch veralten!

Genau! Rollenspiele können veralten. Aber wie geht man als Spieler damit um?

Die eigentlichen Produkte, die alten Bücher ganz weit hinten in den Rollenspielregalen der Intensivrollenspieler verschimmeln ja nicht. Man muß sie nur hervorziehen, lesen und spielen. – Aber findet man für solche alten Spielformen denn überhaupt noch Spieler?

Oft nicht.

Allein schon der Fakt, daß ein Rollenspiel nicht mehr im Handel ist (wie das letztes Jahr eingestellte Marvel Heroic Roleplaying z.B.) sorgt dafür, daß das Interesse der „rollenspielerischen Öffentlichkeit“ MASSIV runter geht.

Man findet als Spielleiter für alte Rollenspiele oft keine Mitspieler.

Man findet als Spieler mit Interesse an alten Rollenspielen oft keine Spielleiter.

Findet man doch welche, kommt eine solche „Old School“-Runde zustande, dann stellt sich oftmals ein leicht ungutes Gefühl ein. Das Gameplay ist zu langsam, zu zäh, es sind zu viele Detailgrößen von Spieler und SL-Seite zu verwalten, die Simulationstiefe nimmt das Tempo komplett raus, es ist zu umständlich, usw.

Ich kann davon aus eigenen Erfahrungen mit dem gleichen Szenario gespielt mit Deadlands Classic (einem ziemlich „involvierten“, detailreichen, aber langsam abwickelnden Regelsystem) und mit Deadlands: Reloaded (nach dem schnellen, leicht handhabbaren Savage Worlds Regelsystem) berichten. Die Deadlands: Reloaded-Runden liefen einfach schneller ab, man hatte das Gefühl „mehr Story in kürzerer Zeit“ zu erspielen. In Deadlands Classic waren zwar die Details viel stimmungsvoller und feine Unterschiede hatten wirklich Einfluß auf den Verlauf der Handlung, aber alles dauerte länger, man brauchte einfach mehr Sitzungen, um letztlich das gleiche Szenario zu spielen.

Die von den Spielern ausgesprochene Lust auf das Weiterspielen bzw. Wiederspielen war bei den Deadlands-Reloaded-Runden ganz klar größer. – Das mag auch daran liegen, daß mit dem SW-Regelsystem ein aktuelles Regelsystem vorliegt, daß auch in allen modernen Formen (auch elektronisch) erhältlich ist und auf das man für weitere Settings aufsetzen kann. Deadlands Classic merkt man schon an, daß es jetzt bald 18 Jahre alt ist. (Auch wenn es damit noch lange nicht zu solchen vergreisten Systemen wie Basic Roleplaying oder Old D&D gehört.)

Es gibt für alte Spiele kein neues Material mehr.

Das stimmt natürlich nicht global, denn im Rahmen der Old School Renaissance gibt es gerade für altes D&D geradezu UNMENGEN NEUER Produkte, Abenteuer, Supplements, usw., die erst in den letzten Jahren entstanden sind.

Aber für die meisten anderen alten Rollenspiele ist da nichts Neues in Sicht. Die sind als Produkt letztlich TOT.

Aber manchmal kommen sie zurück!

Manchmal gibt es NEUAUFLAGEN, oft modernisiert, überarbeitet und auf aktuelle Mode-Erscheinungen hin angepaßt.

Und natürlich produzieren die „nicht-toten“, wohl aber altgereiften Rollenspielproduktreihen immer mal wieder neue Versionen ihre Grundregelwerke und weitere neue Produkte: Midgard 5, DSA5, D&D Next, Shadowrun5, Call of Cthulhu 7, RuneQuest 6, usw.

Alte Spiele bzw. alte Spielwelten werden mit neuen Versionen ab und an mal „verjüngt“.

Das hält sie im Bewußtsein der „rollenspielerischen Öffentlichkeit“ und man erhält wieder neues Material dafür, kann was kaufen, bekommt somit die Spiele sowie Leute, die sie spielen wollen.

 

 

Altern in Würde

Rollenspiele veralten. Veraltete Rollenspiele KANN man durchaus noch spielen (man KANN ja auch einen Oldtimer-Wagen noch fahren). Aber ob man das heutzutage noch WILL, das ist eher die Frage. Manche Spiele sind so durch und durch veraltet, daß man sie in Würde im Regal stehen lassen sollte, statt sie auf Krampf nochmal an den Spieltisch zu zerren.

Durch Neuauflagen nach heutigen Geschmacksmustern kann man aber das Veralten von Rollenspielen verhindern bzw. alte Spiele „reanimieren“ und neuen Kundenkreisen zuführen.

Auf jedenfalls nagt der Zahn der Zeit auch an Rollenspielen. Rollenspiele und Zeit, Rollenspiele in unserer HEUTIGEN Zeit, das ist ein Thema, das sich mit der fortschreitenden Zeit auch ständig anders darstellt.

Ich bin angesichts der Entwicklungen in den letzten Jahren für meine eigene Rollenspielpraxis (viel mehr elektronische Produkte, Hangout-Runden, Google+-Communities, Crowd-Funding, Print-on-Demand, usw.) wirklich gespannt, wie das gute alte „Pen&Paper“-Rollenspielhobby in ein paar Jahren ausehen mag.

 

 

Bei Diskussionsbedarf bitte hier bei den Kommentaren oder drüben im RSP-Blogs-Forum schreiben.

0 commenti su “[Karneval der Rollenspiel-Blogs] Veralten Rollenspiele?

  1. Entropy sagt:

    Ich finde den Artikel sehr interessant, beleuchtet er doch eine Vielzahl Aspekte die Rollenspielgeschichte bzw. Rollenspielentwicklung betreffen. Doch möchte ich anmerken, dass ich nicht finde dass Rollenspiele veralten. Sicher hast Du recht, wenn Du das in Bezug auf Mode, Spielbarkeit unter gewissen Voraussetzungen redest.

    Aber wenn Du von veraltet sprichst, dann hört sich das an wie: „Abgelaufen“, „Falsch“, „nicht mehr gut“. Für einige mag das zutreffen. Andere werden einfach nur alt. So wie Geschichte eben altert. Früher war es anders, heute sind diese Dinge alt, außer Mode, nicht mehr gebräuchlich. Aber für meinem sprachlichen Begriff nicht unbedingt „veraltet“ in Bezug auf die Gebrauchsfähigkeit. Speziell als Inspirationsquelle finde ich alte Spiele alles andere als „veraltet“.

    • Zornhau sagt:

      Mit Veralten bei Rollenspielen meine ich natürlich einerseits das „aus der Mode Kommen“ bestimmter Arten von Spielen, Mechaniken und Darbietungsweisen.
      Aber ich meine mit Veralten auch durchaus auch „technisch überholt“ wie die Musikkassette in Zeiten von MP3-Playern, auch wenn sie mit dem passenden (und ebenfalls veraltete) Kassettenrecorder ja immer noch besten funktionieren mag.
      Und ich meine mit Veralten auch „gesellschaftlich überholt“ wie die Münztelefonzelle in Zeiten der Allgegenwart von Mobiltelefonen.

      Alte, genauer: Veraltete Rollenspiele sind eben von der Zeit und dem damit verbundenen Wandel überholt worden. Das kann auf unterschiedlichen Ebenen passieren. So dürfte heute, trotz einer späten Fortführung der TV-Serie, kaum noch jemand Interesse an dem alten Dallas RPG haben. Die damals frische, viele Leute vor den Fernseher lockende Serie und das zur Zeit der Erstausstrahlung erschienene Rollenspiel dazu wirken heute in wirklich ALLEN Belangen so alt, wie sie sind: Die Serie wirkt 36 Jahre alt, das Rollenspiel 34 Jahre alt. – Klar könnte man das heute noch spielen. Aber hier kommt ein wichtiger Punkt zum Tragen:

      Ein Rollenspiel wird ja von Spielern gespielt, die selbst ihren AKTUELLEN zeitgeschichtlichen Hintergrund mit an den Spieltisch bringen!

      Für mich als „Alten Sack“ ist es keine Schwierigkeit mir vorzustellen, daß es zum einen nicht überall Telefonzellen gibt, sondern daß man auch passendes Kleingeld haben muß, um sie überhaupt zu benutzen. – Bei Spielen von Call of Cthulhu in den 1920ern mit jüngeren Spielern, die in der Allgegenwart von Handys aufgewachsen sind, haben manche der Mitspieler einfach ohne weitere Überlegung versucht im Abenteuer die Polizei anzurufen. „Womit?“ „Ähm, mit dem Handy.“ „Die gibt es 1922 aber nicht.“ „Oh!“ – Die Sichtweise auf ein dargebotenes Setting, das noch so intensiv mit Settinginformationen unterfütter sein mag, ist IMMER die des HEUTIGEN SPIELERS.

      Und da nimmt man dann Dinge einfach ganz anders wahr als jemand, der zu anderen Zeiten andere Verhältnisse selbst erlebt hat. Schon das Retro-Gaming in den 90ern ist problematisch, in den 80ern noch mehr – und die 70er Jahre und früher sind für die meisten heutigen Spieler genauso „unpräsent“ wie Biedermeier, Rokoko oder Jungsteinzeit.

      Rollenspiele sind immer auch Kinder bzw. Spiele ihrer Zeit. – Heutzutage fällt es ja wirklich schwer sinnvoll klassische James-Bond-Stoffe, die einfach mit dem Kalten Krieg und klaren Feindbildern der alten Zeit verbunden sind, irgendwie wiederzubeleben. Da kommt dann eher die unfreiwillige Komik des Retro-Spielens heraus, aber nicht das Gefühl, das man noch in den 80ern mit einem James-Bond-007-Rollenspiel erleben konnte.

      Ich sage nicht, daß diese alten, diese veralteten Rollenspiele „unspielbar“ wären. Überhaupt nicht! Die kann man natürlich von ihren Mechaniken genauso flüssig spielen, wie man dies früher konnte! – Nur sind sie in Darreichungsform aus der Mode, an Regeltechnik überholt und auf ein ganz anderes als das heute gute Akzeptanz findende Gameplay ausgerichtet. Und sie sind vom Setting her einfach ÜBERHOLT. Alles ist heute anders. Die Setzungen gerade zeitgenössisch plazierter Settings sind die am schnellsten veraltenden, dann kommen schon die Near-Future-Settings, die sich über 10 oder 20 Jahre auch nicht gut halten können.

      Klar macht es auch mal Spaß aus NOSTALGIE-Gründen in einer „vergessenen Zukunft“ zu spielen, sich mit Neon-Netzhemd, Iro-Schnitt und Datenbuchse in einer technisch und gesellschaftlich komplett überholten „Zukunft“ zu tummeln. – Das ist aber bewußtes RETRO-Spielen! Das ist wie bewußt einen Oldtimer herrichten und damit an regenfreien Sonntagen einen Nachmittagsausflug machen. Das ist wie sich mal hinzusetzen und einem Freund handschriftlich einen Brief zu schreiben, statt eine E-Mail, SMS oder ihn gleich im Video-Chat vor Augen zu haben.

      Und diesen „Retro-Genuß“ kann es eben nur geben, WEIL diese Spiele ja veraltet sind. Daher schwingt bei diesen die Zuneigung für ein altes Arbeitspferd, den alten, ergrauten Hund, mit dem man früher überall rumgetollt ist, mit. DSA1, Midgard 1, RuneQuest 2, Classic Traveller, OD&D, Gamma World 1st Ed., usw. – alles alter Kram, denn man nur noch aus NOSTALGIE spielt, wenn man damals damit schöne Erfahrungen gemacht hat, oder aus MITLEID, wenn man zu jung ist, um den alten Scheiß noch zu kennen, man aber gerne mal sehen möchte, wie Oma und Opa damals gezockt haben mögen (mit Schlaghosen, zu kurzen T-Shirts, Fusselhaaren und der selbstgedrehten im Mundwinkel).

      Es gibt Dinge, die nicht oder nicht merklich veralten. Eine Bratpfanne, auch wenn sie heute aus neuen Materialien, mit neuen Beschichtungen usw. gefertigt ist, veraltet nicht. – Regelmechaniken wie „Nimm 2W6, würfle sie, addiere die Ergebnisse und vergleiche die Summe mit einem Zielwert – wurde der erreicht oder überschritten, war das gut, wenn nicht, war das schlecht“. Solche Regelmechaniken veralten nicht so schnell. Das sind die Bratpfannen, Kochlöffel, das Wasser, der Essig, das Öl, das Salz, mit dem die Spiele-Entwickler ihre „Kreationen“ basteln.

      Aber ein Rollenspiel, das irgendwelche „altersrobusten“ Elemente aufweist, ist deswegen noch lange nicht vor dem Veralten gefeit.

      Und genau daher kommen ja die „Frischzellenkuren“ der NEUEN VERSIONEN von Rollenspielen! Aktuell D&D 5, Earthdawn 4, DSA 5, Call of Cthulhu 7, usw. – Diese neuen Versionen sorgen dafür, daß das Spiel MIT DER ZEIT GEHT.

      Ein Ford Modell-T mag als Oldtimer in gutem Pflegezustand auch heute noch in der Lage zu sein zu fahren. Aber es ist KEIN Auto, das sich jemand, der einen neuen Wagen anschaffen will, auch nur anschauen würde, weil dieses Uralt-Modell eben nicht mehr hergestellt wird, nicht in den Autohäusern zu finden ist.

      Rollenspiele, die „out of print“ sind, verschwinden aus der Öffentlichkeit, aus dem Bewußtsein der Spieler. – Hierzulande gab es eine nicht geringe Anzahl Earthdawn-Spieler der deutschen Ausgabe der 1. Auflage von Earthdawn. Als dazu nichts mehr rauskam, als das deutsche ED einfach aus der Sicht, aus den Läden, aus den Online-Shops verschwand, spielten manche die neueren englischsprachigen Versionen weiter, andere hingegen einfach KEIN Earthdawn mehr! – Ist ein Spiel erst einmal aus den Läden, ist es bald auch nicht mehr auf den Spieltischen.

      Aktuell: Marvel Heroic Roleplaying, ein modernes, wirklich vorzügliches Rollenspiel, wurde aus Lizenzgründen vor genau einem Jahr als Produktreihe eingestellt. Man bekommt nicht einmal mehr elektronische Publikationen dazu mehr. – Damit ist Marvel Heroic aktuell am STERBEN. Neue Spieler kann man zwar auf Cons oder via Hangout begeistern, aber sie können sich nicht einmal mehr die Grundregeln dazu elektronisch anschaffen (jedenfalls nicht legal). Das ist geradezu das TODESURTEIL für ein Rollenspiel. Marvel Heroic VERALTET wegen dieser „Beschaffungsproblematik“ sogar schneller als normal auslaufende Produktreihen, die noch lange in den Läden oder PDF-Shops verfügbar sind.

      Ich finde es daher interessant, wie hier bei den Kommentaren und „drüben“ im RSP-Blogs-Forum dem Veralten von Rollenspielen widersprochen wird.

      Es sind doch normale Produkte ihrer Zeit. Die sind IMMER einem Alterungsprozess, einem Veralten unterworfen. – Wenn man nichts tut, um sie aufzufrischen – siehe „Neue Version – was nun?“ – dann veralten sie, werden nicht mehr gekannt, nicht mehr gespielt, nur noch von „Rollenspiel-Archäologen“ mal ausgebuddelt, um irgendeinen Punkt in einer Diskussion zu belegen, und noch seltener von „Ewig Gestrigen“ oder „Modernen Nostalgikern“ doch mal auf den Spieltisch gebracht – um dann eben WEIL sie so alt sind, doch nicht dauerhaft das Interesse moderner Rollenspieler halten zu können.

      Manchmal ist alter Kram einfach nur alter Kram und man kann froh sein, daß es nun neuen Kram gibt.

  2. Ich fand deinen Artikel spannend zu lesen, auch wenn ich nicht sicher bin, ob die Infos alle passen (gerade was heute Spielende angeht – es gibt nicht nur alte Rollenspieler und Kinder von Rollenspielern können sicher mit mehr Verständnis ihrer Eltern für nächtelange Spiele rechnen).

    Ich habe allerdings einen Krtikpunkt:

    > „Man mag von solchen Sprachverbiegungen halten was man will (und vor allem daran zweifeln, ob sie überhaupt die dadurch beabsichtigte Wirkung enfalten können)“

    Daran zweifeln, ob sie wirken kann man nur dann, wenn man wissenschaftliche Ergebnisse zur Wirkung von Sprache auf Menschen ignoriert.

    Hier ist ein Versuch dazu, mit Referenzen auf weitere: http://elab.or.at/2008/08/schauspieler-und-schauspielerinnen-und-schauspielerinnen-2/

    Ob durch diskriminierungsfreie Sprache die best-lesbaren Bücher entstehen, daran kann man zweifeln (auch wenn es soo schöne Wörter wie „Alle“, „Leute“ und Suffixe wie „-enden“ gibt, mit denen diskriminierungsfreie Sprache natürlich lesbar sein kann). Aber um daran zu zweifeln, dass Sprache funktioniert, dafür muss man ganz ordentlich die Augen verschließen.

  3. Hallo,

    spannender Artikel und ein Thema, mit dem ich mich sehr viel beschäftige (da ich gerade unter anderem noch meinen D&D 3.5 Bestand aufstocke, statt ihn loszuwerden).

    Meiner Meinung nach können Settings anstauben, aber immer wieder neu und frisch erzählt werden (so wie sich James Bond oder Star Trek seit Jahrzehnten immer wieder erneuern). Für mich absolut unverständlich ist aber, wie immer wieder neue Regelstysteme auf den Markt geworfen werden: Warum geht die Szene nicht her und nutzt die Zeit, großartige Abenteuer und Settings zu erzählen, statt ständig ein Core Rule Book nach dem anderen zu büffeln?

    Interesse an „alten“ Rollenspielen schwindet wahrscheinlich deswegen, weil jedes mit eigenen Regelwust daherkommt. Und das ist auch der Grund, warum unsere Szene so zersplittert ist und jeder mit was eigenem um die Ecke kommt. Vielfalt ist toll – aber sie verhindert auch, dass wirkliche Klassiker wie, sagen wir Vampire: Masquerade, über den „Nerd“-Status hinauswachsen und Popkultur werden.

    • Zornhau sagt:

      Es gibt sehr gute Gründe neue Grundregelwerke zu erstellen.

      Klar könnte man auf bestehende, oft sogar frei verfügbare Regelsysteme aufsetzen, aber nur über ein Regelsystem, das man selbst herausgebracht hat, hat man wirklich die Kontrolle.

      Die Vergangenheit hat gezeigt, daß Lizenzen geändert oder „gezogen“ werden können, daß einem System „unter den Fingern verschlimmbessert“ werden können. Wer also ein Interesse daran hat, daß sein Setting, sein Rollenspiel mit Regeln verfügbar ist, über die er selbst die Kontrolle hat, der entwickelt ein eigenes System.

      Sicher ist es lästig ständig neue Systeme lernen zu sollen, die letztlich auch nicht wirklich so vieles anders machen als die hunderte, tausende Systeme, die es in den letzten 40 Jahren zur Veröffentlichung gebracht haben, schon tun.

      Eigenes, neues System oder bestehendes System, das ist eine der Fragen, die man sich beim Erstellen eines neuen Settings stellen sollte. Für beide Alternativen gibt es gute Gründe.

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