Der Huckster und das Halbblut (Weird West im Hangout)

Gastkommentator Cable Hogue von Weirdwest.de

Gastkommentator Cable Hogue von Weirdwest.de

In den von Gremlins aller Arten verseuchten Weiten des Weird Wild Webs gibt es die seltsamsten Gezüchte der „Neuen (Informations)Wissenschaft“ zu bewundern. So auch eine Art „Galerie der Galgenstricke“, die sich zum Herumhängen und zum Shoot-Out treffen, kurz „Hangout“ genannt. – Dem konservativ eingestellten, distinguierten Tischrollenspieler, der in gepflegter Runde unter durch Rauchschwaden abgemildertem, warmem Petroleumlampenschein zusammen mit seinen kampferprobten, das Gesetz des Westens achtenden Partnern bei geistigen Getränken die Kunst des Dice Slingin‘ praktiziert, sind derartige überkandidelte, neumodische und vertrauensunwürdige Dinge natürlich ein Greuel. Und aus gutem Grund: Sie wissen genau, wie übel es ausgehen kann, wenn sich irgendwas zwischen den Hammer ihres Sechsschüssers und das Zündhütchen vor der ausgleichende Gerechtigkeit in Form heißen Bleis speienden Kammer schiebt. Sie lassen zwischen sich und ihre Rollenspielutensilien nur den gehauchten letzten Atemzug ihrer Gegner kommen. – Doch in Zeiten wie diesen ist es durchaus angeraten MIT der Zeit zu gehen, sonst muß man mit der Zeit GEHEN.

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Der D&D-Materialismus als Wurzel des politischen Spiels

König Arthur und Sir Lancelot - von Howard David Johnson

König Arthur und Sir Lancelot - von Howard David Johnson

Im Blutschwerter-Forum hatte jemand nachgefragt, ob bzw. warum es in AD&D (2nd Ed.) nicht beim Erfahrungsanstieg auch automatisch eine Verbesserung der Attributswerte gibt. Das nehme ich mal zum Anlaß etwas über den bei D&D typischen, ja DEFINIERENDEN Materialismus zu sprechen – und welche Folgen dieser für die klassischen D&D-Spielformen hat.

Kompetenz durch Besitz, nicht (nur) durch Können

Da es in AD&D verdammt LEICHT ist einen +1, +2, +3/+5 gegen Werwesen, usw. in Form von gefundenen oder gekauften magischen Gegenständen zu bekommen, erfolgt der Ausbau der individuellen Kompetenz eher über die DINGE, die ein Charakter HAT, und weniger über die FÄHIGKEITEN, die ein Charakter KANN.

Bedenke: Ein +1 Schwert ist – je nach Klasse – schon ein Kompetenz-Anstieg von mehreren Levels beim Kämpfen UND gibt einen Schadensbonus, als wenn die Stärke auch noch effektiv so weit angestiegen wäre, daß ein um +1 höherer Schadensbonus gegeben ist.

AD&D und verwandte Rollenspiele haben eher die Idee, daß ein Charakter sich nur zum Teil dadurch auszeichnet, was er KANN.

Zum Können gehören seine Attribute (also die Eigenschaften, die jeder Charakter besitzt und deren unterschiedliche Quantitäten das „Profil“ der GRUND-Kompetenz des Charakters bestimmen). Und dazu gehört sein Level in seiner Klasse (bzw. seinen Klassen), welche ein ganzes PAKET an Fähigkeiten darstellt (Rettungswürfe, Trefferwürfe, Zauberfähigkeiten, sonstige Fähigkeiten – samt Progression derselben). – All das stellt dar, was der Charakter KANN, wenn er im Lendenschurz rumsteht. Das ist eine Grundkompetenz samt deren Progression mit wachsender Erfahrung.

Andere Rollenspiele setzen beim Kompetenz-Zuwachs vornehmlich (ja z.T. ausschließlich) bei der Grundkompetenz an: Sie sehen vor, daß sowohl die Attribute (und andere Spielwerte) mit Erfahrung wachsen können, als auch andere Fähigkeiten sich verbessern können. Daher ist das Kompetenz-WACHSTUM praktisch NUR vom Anwachsen der GRUND-Kompetenz des Charakters bestimmt.

Bei D&D-verwandten Rollenspielen ist nur die Progression der Klassen-Level mit der Erfahrung wirklich für das GRUND-Kompetenz-Wachstum vorgesehen. Was aber NIEMALS vergessen werden darf: Die GRUND-Kompetenz stellt nur einen TEIL der tatsächlichen Kompetenz eines Charakters dar!

Beispiel: Zwei mit IDENTISCHEN Spielwerten ausgestattete Fighter Level 4 treten gegeneinander an. – Der eine hat eine +1 Plattenrüstung, ein +3 Frostbrand-Langschwert, der andere hat eine normale Plattenrüstung (nicht magisch) und ein Langschwert (nicht magisch). – Welcher von beiden ist kompetenter und wird (wahrscheinlich) gewinnen? – Eben.

Beispiel: Zwei mit IDENTISCHEN Spielwerten ausgestattete Zauberer Level 7 treten gegeneinander an. – Der eine hat nur seine Zauber, die er bei Level-Aufstiegen erworben hat und einen Schutzring +1. Der andere hat mehrere andere Zauberer besiegt und deren Spruchbücher geplündert und verfügt nun über ein breites Repertoire an Zaubern und hat Bracers of Defense AC4, eine +1 Robe, eine Feuerball-Stab mit 34 Ladungen, einen Blitz-Stab mit 12 Ladungen, ein halbes Dutzend interessanter Zaubertränke am Bandolier griffbereit hängen und einen Scroll-Caddy als Henchman, der ihm aus einer Fülle an Scrolls die jeweils passende reicht. – Welcher von beiden ist kompetenter und wird (wahrscheinlich) gewinnen? – Eben.

Sieht man da langsam ein „System“ dahinter?

Genau! – Wer MEHR hat, der kann MEHR machen und ist KOMPETENTER!

Materielle Zugewinne an Kompetenz erfolgen ausschließlich In-Game

D&D-like Rollenspiele bauen auf Individualisierung und Kompetenzentwicklung durch MATERIELLE In-Game-Zugewinne, weit weniger auf „immaterielles“ Kompetenzwachstum durch Attributs- oder Fertigkeits-Verbesserung.

Ein niedrig-stufiger Charakter kann mit entsprechen mächtigen magischen Gegenständen einem deutlich höherstufigen mit geringerwertiger Ausstattung durchaus paroli bieten.

Bei (A)D&D bist Du, was Du HAST (eine Klasse, magische Gegenstände, Henchmen&Hirelings). – Bei anderen Regelansätzen (wie Runequest) bist Du, was Du KANNST.

Interessanterweise führt das bei D&D dazu, daß man sich MEHR darum kümmern MUSS, was man IN-GAME an Charakter-Kompetenz-Unterstützung ergattern kann.

Die passenden Kontakte, Beziehungen, usw. führen zu günstigen Henchmen&Hirelings, die einem das Leben und Überleben erleichtern. Die Abenteuer bringen die Charaktere in den Besitz von UNMENGEN von Wertsachen, die helfen die bestmögliche Ausrüstung, die bestmöglichen magischen Waffen und sonstige Gegenstände zur Kompetenzerweiterung zu erwerben.

Damit ist es viel wichtiger, was alles IN-GAME zusammengetragen wird, als nur auf eine „Erfahrungsgewinn-Regelmechanik“ zu setzen, die essentiell kaum eine In-Game-Einbindung hat.

So gibt es bei RuneQuest diese In-Game-Einbindung nur beim Lernen bei Lehrmeistern, aber für die „Learning-by-doing“-Mechanik gibt es KEIN In-Game-Äquivalent! Bei AD&D gibt es In-Game KEINE „Level“ oder „Klassen“, sondern nur Berufe und Personen mit offensichtlich mehr Erfahrung, Reichtum, besserer Ausrüstung und jeder Menge Gefolgsleute. Man sieht dem Auftreten eines Charakters IN-GAME bereits an, wie kompetent er ist.

Charisma ist in D&D keine „dump stat“, sondern überlebenswichtig

Daran sieht man auch, daß Charisma erst mit D&D 3E zur „dump-stat“ verkommen ist (nur spielerische Nieten hatten früher mit niedrigen Charisma-Werten spielen wollen).

Vor dem rein auf das Fantasy-SWAT-Team, das sich nur öde rumkloppt und auf soziale Beziehungen scheißt, ausgerichteten D&D 3E war es ÜBERLEBENSWICHTIG, daß die SC sich mit Experten, mit Gefolgsleuten, mit treuen Dienern, mit Lehrlingen, mit Leibwächtern, usw. umgaben. Mieses Charisma bedeutet, die Henchmen&Hirelings lassen einen immer genau dann im Stich, wenn man sie am Nötigsten hätte. Daher war ein gutes Charisma überlebenswichtig! Nicht „unwichtiger“ als andere Attribute – und keinesfalls eine „dump stat“.

Name-Level als Umsetzung des Konzepts „Eigentum verpflichtet“

Gerade AD&D 1st Ed. stellt mit seinen Name-Level-Regeln eine gewollte thematische Änderung der Spielweise für höherstufige Charaktere dar. Hier gehen zwei Konzepte zusammen:

„With great power comes great responsibility“ und „Eigentum verpflichtet“

In der D&D-Sicht ist das ein und dasselbe!

Das Materielle, der Besitz eines Charakters, ist das, was ihn über seine Grundkompetenz hinaus MÄCHTIG macht. Und mit mehr Besitz (und dazu zähle ich Henchmen&Hirelings, Followers, Charmed Persons, Sklaven, Nutztiere, einen subdued Dragon, usw. hinzu) hat er einfach mehr MACHT.

Was soll ein solcher Charakter, der eine „punktuelle“ Machtanhäufung darstellt, nun mit all seiner Macht anfangen?

Weiter durch einfach noch längere, noch schwierigere Dungeons kriechen und dort noch mehr und noch stärkere Monster plätten?

Das ist es, was D&D 3E bejaht. Dort gibt es einfach MEHR von allem, aber ohne jegliche Auseinandersetzung, was für einen GESELLSCHAFTLICHEN Einfluß ein Charakter, der regelmäßig in den Abyss herabsteigt um dort eigenhändig Dämonen zu plätten, haben könnte.

AD&D 1st Ed. war da anders. Vorausschauender. Vielseitiger. –  Dort wurde der  Übergang vom bis dahin schon langsam kaum mehr interessanten und nicht mehr wirklich herausfordernden Dungeon-Crawling-Spiel ins POLITISCHE Spiel ganz vorzüglich herausgearbeitet.

Bei Erreichen des Name-Levels wird ein SC ein „Major Player“ im politischen Machtgefüge der Region. Er wird nicht mehr weiter sein unstetes Dungeon-Ausräumen betreiben, sondern seine Machtbasis, statt durch nur lokal wirksame magische Gegenstände und etwas Grundkompetenzanstieg durch Erfahrung auszubauen, eher durch seine Scharen an Gefolgsleuten, angeheuerten Leuten, an SIEDLERN unter seiner HERRSCHAFT und durch BÜNDNISSE mit seinen Nachbarn ausbauen. – Das alles – wie aller materieller Kompetenzzuwachs – natürlich In-Game!

Beispiel: Zwei Charakter derselben Klasse und desselben (Name-)Levels unterscheiden sich in ihrer Kompetenz MASSIV durch das, was sie an POLITISCHER Macht, an EINFLUSS auf die Spielwelt akkumuliert haben. – Der popelige Dungeon-Crawler, der als Kämpfer noch immer nach Level 9 durch dunkle Gewölbe kriecht, der hat so gut wie NULL Einfluß auf all das, worauf es in der Spielwelt WIRKLICH ankommt. Hingegen der Fighter, der sich zum Fürsten über selbsteroberte Ländereien gemacht hat, der über Tausende Untergebene herrscht, der ganze Horden an „Adventuring Parties“, seine Gefolgsleute, seine Hofmagier, seine Paladine, seine Spione (Diebesgilde!), usw., DER hat WIRKLICH Einfluß auf die Spielwelt!

Diese Art des Übergangs in das politische Spiel ist eine ganz natürliche Konsequenz aus dem „materialistischen Konzept“ von D&D, welches ja mehr und mächtigere Besitztümer anzuhäufen anregt. Irgendwann werden das „Immobilien“, Ländereien, Festungen, Magiertürme, Tempelfestungen, Kriegerorden, usw. – alles das erwächst ganz natürlich aus dem Anwachsen der Kompetenz über das, was der Charakter HAT, weniger über das, was er KANN.

HAT er eine Festung im Grenzland und einen Landstrich, den er sein eigen nennt, dann HAT er MACHT auf politischer Ebene. – Ein D&D-Charakter wird nicht „vom Tellerwäscher zum Millionär (genauer zum Unternehmer!)“, sondern er wird vom ängstlichen Dungeon-Crawler zu einem politischen Major Player, einem Fürsten, Hohen Priester, Erzmagier, usw. mit mehr Einfluß als nur dem seines eigenen Schwertarms, seiner Wunder, seiner Zaubersprüche!

Das politische Spiel von AD&D (1st Ed.) erwächst ganz natürlich aus dem materialistischen Ansatz von D&D. Das ist ein definierendes Merkmal von allen typischen „D&D-like“ Rollenspielen. – Wo diese natürliche Entwicklung nicht (mehr) vorkommt, hat man es nicht mehr wirklich mit D&D zu tun, sondern nur einem blassen Schatten dessen, was D&D auszeichnet.

Die falschen Fragen

Eine Attributssteigerung bei D&D-Charakteren ist sowas von UNWICHTIG, daß sie damals wie heute kaum jemand vermißt (außer den durch die 3E „versauten“ UN-D&D-Spielern, die meinen, daß es bei D&D nur um das Anwachsen der PERSÖNLICHEN Fähigkeiten – um mehr Feats, mehr Spells, mehr Skill-Ranks – ginge).

Wer als Spieler versucht sich um die „great responsibility“ für die GESAMTE SPIELWELT zu drücken, und statt dessen nur lahmarschig seine „great power“ anzuheben, der spielt wie eine LUSCHE! – Der Charakter mag noch so kompetent sein, aber Spieler, die sich scheuen die SPIELWELT aus den ANGELN zu heben, indem sie sich den heftigen Herausforderungen des politischen Spiels stellen, die spielen nur mit „Stützrädern im Verkehrsgarten/Dungeon“, die sind aber in ihrem Horizont auf die nächstgelegenste Dungeon-Wand beschränkt.

Daher: Fragt nicht, wie man Attribute der Charaktere steigert, fragt lieber, wie man ganze KÖNIGREICHE GRÜNDET!

 

Über Kommentare hier oder Beiträge im Diskussions-Thread im Forum würde ich mich wieder sehr freuen.

„Fakten“ sind nicht gleich FAKTEN!

Im Rollenspiel sind die Spieler damit beschäftigt Fakten in der Spielwelt zu schaffen. Was in einer Spielsitzung an Fakten IM SPIEL geschaffen wird, ist in der nächsten Spielsitzung in derselben Spielwelt, in derselben Kampagne weiterhin ein Fakt.  Das ist der Kern des Fortsetzungsspiels im Gegensatz zu reinen One-Shots von nur einer einzigen Spielsitzung. Da Fakten somit in der Rollenspielpraxis eine große Bedeutung zukommt, möchte ich hier mal auf Probleme mit Fakten und dem Faktenschaffen eingehen und meine Sicht auf unterschiedlichen „Arten“ von Fakten vorstellen.

Meine Motivation: In des Hofrats Disputorium schrieb Athair etwas für diesen Artikel Auslösendes (der Bezug des Disputoriums-Threads ist durchaus auch interessant, da die dortige Diskussion um Fakten-UNTREUE, Spieler-BESCHISS und MANGELNDE SPIELMORAL geht – er findet sich hier).

Athair schrieb unter Verweis auf den DSA-Hintergrund:

Der Hintergrund ist teilweise dermaßen einengend, dass ich als Spieler meine Schwierigkeiten habe mir in Bezug auf diesen Handlungsspielraum zu erkämpfen. … Also: Es gibt durchaus ein Problem mit Fakten im Spiel.

Das Problem daran ist ja, daß es nicht nur Fakten als solche gibt, sondern daß man zwischen „Fakten“ und FAKTEN unterscheiden muß.

Durch die Unterscheidung wird meines Erachtens klar, warum manchmal Hintergrundinformationen (Fakten über die Spielwelt) als einengend empfunden werden, warum man manchmal das Gefühl hat GEGEN den Hintergrund und seine vorab vorhandene „Faktendichte“ anspielen zu müssen und wo das Problem (und dessen Vermeidung) mit Fakten im Rollenspiel liegt.

Fakten zum Ersten: Fakten

Fakten – Das ist der Begriff in „Normalnutzung“. Damit verbinde ich keine besondere Bedeutung in Bezug auf das Rollenspiel, sondern verwende es synonym zu Tatsachen, Eigenschaften, usw.

Spricht man von Fakten, die im Spiel geschaffen werden, oder von Fakten, die man aus einem Quellenband herausliest, oder von Fakten, die der Spielleiter bei seiner Abenteuervorbereitung festlegt, dann meint man unterschiedliche ARTEN von Fakten. Und um die Unterschiede zwischen diesen geht es mir zunächst einmal.

Fakten zum Zweiten: FAKTEN

FAKTEN – In dieser Schreibweise meine ich damit alles, was irgendwann einmal IM SPIELGESCHEHEN genau DIESER Spielgruppe als Eigenschaft, als Tatsache, als Fakt der Spielwelt vorgekommen ist.

Diese FAKTEN sind sowohl dem Spielleiter wie auch den Spielern bekannt. Sie sind die OFFENBAREN Tatsachen, die durch Spielerentscheidungen, SC-Einwirkung auf die Spielwelt, und durch die Präsentation der Spielwelt durch den Spielleiter UND die Spieler(!) gefestigt wurden.

FAKTEN haben im Spiel bereits WIRKUNG entfaltet – auch wenn die Wirkung nicht immer gleichermaßen weitreichend sein muß.

Beispiel:

Ich spiele als Spieler einen Krieger eines Reitervolkes. Es wurde nirgendwo in einem mir bekannten Kulturbeschreibungstext oder sonst irgendwo im Spiel bisher eine Aussage zu Barttracht und Körperschmuck gemacht. Ich entscheide somit, daß mein Charakter einen langen Schnurrbart in der typischen Art der Reitervölker trägt und sein Oberkörper mit Tätowierungen, wie man sie in seiner Heimat bei den Kriegern findet, geschmückt ist.

Das sind NEUE FAKTEN. Es sind FAKTEN, weil sie IM SPIEL – sogar beim ersten Auftritt des Charakters gegenüber den anderen SCs – so beschrieben wurden.

Nun ERWARTE ich – zurecht! – daß der Spielleiter bei der Beschreibung von etwaigen weiteren Angehörigen dieses Reitervolkes meine geschaffenen FAKTEN aufgreift. Daher haben ALLE Krieger dieses Volkes solche Tätowierungen und zumindest die meisten Bartträger werden die oben beschriebene Barttracht haben.

Als Spieler habe ich hier die Weltbeschreibung mit MEHR DETAILS versehen. Und zwar nicht mit Details ohne weitere Bedeutung für das gemeinsame Spiel, sondern mit der berechtigten ERWARTUNG, daß diese von mir in einem sogar für die meisten Spielvorkommnisse minderwichtigen Bereich geschaffenen FAKTEN eben nunmehr für UNSERE GRUPPE Tatsachen der Spielwelt darstellen.

Jeder Spieler schreibt die Weltbeschreibung fort (inklusive der Historie der Welt, die durch das Voranschreiten der Zeit in der Spielwelt festgeschrieben wird).

Jeder Spieler erschafft somit FAKTEN in und über die Spielwelt.

Auch der Spielleiter erschafft solche FAKTEN.

Beispiel:

Wenn der obige Krieger ein NSC wäre, dem wir als erstem Vertreter der Reitervölker begegnet wären, und der Spielleiter hätte ihn so beschrieben, dann wäre unsere ERWARTUNG bezüglich des Aussehens weiterer Vertreter geprägt. Abweichungen kann es geben, doch sind diese zu begründen, zu erklären, nachvollziehbar, plausibel zu halten.

Der Spielleiter, der in seiner eigenen, persönlichen Ergänzung dessen, was er an Material über die Spielwelt in eine Spielsitzung genommen hat, solche FAKTEN schafft, ist MORALISCH GEBUNDEN diese auch in weiteren Spielsitzungen zu honorieren und sie weiterhin als gültige Tatsachen zu behandeln (siehe auch den oben verlinkten Thread im Tanelorn). Ändert sich etwas an diesen Tatsachen, dann braucht es einen plausiblen GRUND dafür! Ursache und Wirkung. Damit schafft man echte FAKTEN, die ja die WIRKUNGEN dokumentieren. Ansonsten wird die Welt unglaubwürdig.

Also schaffen ALLE Spielenden FAKTEN in und über die Spielwelt an den Stellen, die in den vorab den Spielenden zugänglichen UND PRÄSENTEN Informationen nicht abgedeckt waren.

Das ist ein HINZUFÜGEN zur Spielweltbeschreibungsdichte. Die Spielweltbeschreibung wächst um die geschaffenen FAKTEN. Diese FAKTEN haben somit eine WIRKUNG entfaltet, die sich in der Fortschreibung der Spielweltbeschreibung niederschlägt.

Und die Gültigkeit dieser Hinzufügungen erstreckt sich nur auf genau diese eine Spielgruppe – oder im klassischen Kampagnenverständnis eines traditionellen Spielleiters auf seine Kampagne (= Spielwelt, die er konsistent mit vielen verschiedenen Gruppen bespielt).

Fakten zum Dritten: „Fakten“

„Fakten“ –  Das sind im Spiel bislang „noch unwirksame“ Fakten.

Alle Fakten, die in Quellenbänden vorkommen mögen, alle Fakten, die ein SL sich selbst – ob mit oder ohne Zufallstabellen etc. – über die Spielwelt zusammengestellt hat, alle Fakten, die den GESAMTSTAND der unabhängig von einer konkreten Spielgruppe existierenden Faktenlage über eine Spielwelt darstellen.

Solche „Fakten“ kamen bislang im aktiven Spiel in einer Spielsitzung noch nie zum Tragen. Als im Spiel bislang „noch unwirksam“ kann man sie bezeichnen, weil sie in KEINER Weise einen Einfluß auf die Spielsitzungen einer Spielgruppe hatten. – Also weder als Motivation für einen NSC, noch als ein Gerücht auf der Straße, noch sonst irgendwo aufgetaucht sind. Sie hatten einfach NOCH KEINE WIRKUNG auf das laufende bzw. gelaufene Spiel!

Ändert sich ein „Fakt“, dann MERKT ES NIEMAND, weil dieser Fakt noch keinerlei WIRKUNG entfaltet hat.

Beispiel:

Die SCs spielen in einer zivilisierten, renaissancezeitlich angehauchten Region der Spielwelt, in der es nicht einmal Gerüchte über die obigen Reitervölker auf einem anderen Kontinent gibt, der mangels tauglicher Schiffe noch nicht einmal entdeckt ist. Erscheint nun ein Quellenband zu besagtem Kontinent, in welchem die Reitervölker völlig anders beschreiben werden – 2,50m große blaue negroide Nomaden, die auf riesigen Elefanten als Reittieren umherziehen – dann MERKT das KEINER in der Spielgruppe der SCs, weil diese „Fakten“ zu keinem Zeitpunkt eine Wirkung in der erspielten, fortgeschriebenen Historie dieser Kampagne hatten.

Anders sähe es aus, wenn die SCs schon mit marodierenden Horden dieser Reitervölker zu tun hatten, diese – mangels weitergehender Information des SLs – wie oben im ersten Beispiel beschreiben wurden, und nun aber mit vom Spielleiter in die Spielgruppe eingebrachten, neuen „kanonischen“, offiziellen Informationen „überschrieben“ werden sollen.

Ein „die waren schon immer 2,50m groß und blau“ ist nicht gerade glaubwürdig.

Hier ist der MORALISCHE MAKEL das Klammern des Spielleiters an irgendwelche GRUPPENEXTERNEN AUTORITÄTEN (im Beispiel: Verlage), die er in die Inhalte seiner eigenen Kampagne (= Spielwelt) hineinzudirigieren zuläßt.

Externe Autoritäten – Fakten von außen akzeptieren

Wer eine Spielgruppe initiiert, seine Spielweltinterpretation für diese Gruppe  beginnt, über den hat NIEMALS irgendein Verlag und dessen Produktpalette auch nur den Hauch an Autorität, was er wie in SEINER Interpretation der Spielwelt darbietet.

Noch so offizielle Informationen, noch so „kanonisch“ erklärte Spielwelt-Faktenbeschreibungen können niemals mehr als „Fakten“, also noch UNWIRKSAME Fakten sein.

Verlage nutzen jedoch ihre Produkte und die nur IHNEN Vorteile bringende KANONISCHE Weltbeschreibung aus, um nicht nur bei den Spielleitern, sondern gerade auch bei den SPIELERN die ERWARTUNG zu schüren, daß sie nicht mehr in der Welt des Spielleiters (dessen Kampagne) spielen sollten, sondern ALLE in DERSELBEN, d.h. in einer in wesentlichen Fakten überall und immer IDENTISCHEN Spielwelt!

Nochmal, weil es mir so wichtig ist das klar herauszustellen:

Es wird bei den SPIELERN die Erwartung geweckt, daß es erstrebenswert sei, wenn ALLE Spielenden eines bestimmten Rollenspiels (z.B. DSA) in DERSELBEN, der IDENTISCHEN Spielwelt spielten.

Das ist der krasse Gegensatz zu den klassischen Tugenden des Rollenspielhobbys, nach welchen die Spielwelt, die Kampagne, der PERSÖNLICHE Ausdruck und das persönliche EIGENTUM des Spielleiters ist. Dieser läßt seine Spieler (oft mehr als nur eine Spielgruppe!) in dieser, SEINER Welt agieren und sie ändern. Es ist dabei seine MORALISCHE VERPFLICHTUNG diese Änderungen auch als FAKTEN in seiner Spielwelt einzuarbeiten.

Dadurch ist eine Spielwelt bei Spielleiter Albert SPÜRBAR anders als bei Spielleiter Bertram oder bei Spielleiterin Claudia. – Es ist eine PERSÖNLICHE Herzenssache, KEIN überall identisches, kanonisches und damit auch SEELENLOSES Ungetüm!

Auch in Zeiten, als die klassischen Tugenden noch allgegenwärtig nachgeeifert wurde, gab es ja schon Rollenspielprodukte von Verlagen, die Regionenbeschreibungen, Spielwelten, usw. zum Gegenstand hatten.

Was war der Unterschied?

Der Unterschied liegt im UMGANG mit solchen Materialien und der ERWARTUNGSHALTUNG der SPIELER, wie ihr Spielleiter selbst bei Verwendung von „offiziellen Materialien“ mit diesen umzugehen hat (auch eine Tugend!).

Hält der SL es für angebracht und meint er dies ohne Kompromittierung der Plausibilität SEINER Kampagne bewerkstelligen zu können, dann kann er natürlich die Inhalte solche Quellenbände ganz oder zum Teil verwenden. Das ist unproblematisch, wenn es eben mit der notwendigen Achtsamkeit auf die KONSISTENZ seiner Spielweltdarstellung geschieht.

Noch unwirksame Fakten werden erst IM SPIEL von „Fakten“ zu richtigen FAKTEN, auf die sich die Spielgruppe auch verlassen kann.

Durch sorgsame Filterung, durch bewußte Zusammenstellung der FÜR SEINE Kampagne zulässigen Fakten-Materialien erhält er eine Sammlung an spezifisch ausgewählten „Fakten“. Er ist zu KEINEM Zeitpunkt irgendwie moralisch in der Pflicht ALLES, was in einem Quellenband steht, auch zu übernehmen. Er ist zu KEINEM Zeitpunkt verpflichtet irgendeiner kanonischen Entwicklung der „offiziellen“ Spielwelt (Meta-Plot) zu folgen. Das ist alles für seine EIGENE Kampagne völlig uninteressant!

Und die Spieler, denen solche Tugenden bewußt sind, erwarten es auch NIE anders vom Spielleiter. Sie erwarten eine EINMALIGE, eine INDIVIDUELLE Kampagne (= Spielwelt), die sie NUR BEI DIESEM EINEN Spielleiter so im Spiel erleben können!

Einzigartigkeit, Einmaligkeit, individuelle Unterscheidbarkeit. – Das zeichnet eine spielleiterindividuelle, tugendorientierte Kampagne aus.

Im Gegensatz dazu erhält man beim „konformistischen“ Verfolgen von  kanonischen, immer-gleichen „Fast Food“-Spielwelten, die mit einer ungerechten(!) Autorität VON AUSSEN in eine Spielgruppe hinein bestimmt werden, nicht einmal einen Hauch dessen, was im Rollenspielhobby das BESONDERE gegenüber Computerspielwelten oder passiveren Medien wie Film, Comic usw. ausmacht: Die INDIVIDUELLE, EINZIGARTIGE Spielumgebung.

Es wird Konformismus groß geschrieben. Es wird auf Normen gehört, die VON AUSSERHALB der Spielgruppe kommen – und allein schon deshalb eigentlich NICHTS in der Gruppe zu suchen haben!

Das ist in meinen Augen die Quelle des Übels, wenn jemand die Erfahrung macht, daß er als Spieler (oder als Spielleiter) durch eine „überspezifizierte“ offizielle, von außen aufgenötigte Spielwelt geradezu ERDRÜCKT wird.

Ohne die heutzutage gerade hier im deutschsprachigen Spielraum anzutreffende ERWARTUNGSHALTUNG der Spieler nach geradezu sklavischem Folgen der kanonischen Vorgaben der Verlage, gäbe es diese erstickenden Situationen, in denen man das Gefühl hat GEGEN die FAKTEN-DICHTE normierter, unindividueller, überspezifizierter Spielwelten anzuspielen.

Solche Spieler sind leider von UNTUGEND der rollenspielerischen SELBSTVERLEUGNUNG bestimmt.

Sie verleugnen ihre Identität als EIGENSTÄNDIGE Rollenspielgruppe mit INDIVIDUELLER Spielwelt. Das halte ich für eine Art Selbstverleugnung, weil eben die IDENTITÄTSSTIFTENDE Funktion einer individuellen Spielwelt/Kampagne durch das sklavische „Abarbeiten“ des Kanons nicht mehr gegeben ist.

Graue Ameisen. Sie spielen alle die exakt identische Spielwelt, die exakt identischen Kampagnen. – Oder zumindest VERSUCHEN sie das.

Aber solch ein Versuch MUSS SCHEITERN! – MUSS, weil eben keine Gruppe wie die andere ist. Wer solche Stangenware als kanonisch zu befolgende „Heilige Schrift“ in seiner Runde verwendet, der wird feststellen, daß sie KEINEM in der Gruppe wirklich paßt. Daher wird JEDER niedergeknüppelt, kleingehalten, eingezwängt, auf daß man ja dem (unwahrhaftigen!) Werte der „Kanon-Treue“ seine Spieler und deren Spielvergnügen, ja deren Spiel-LEIDENSCHAFT opfert!

Nach einiger Zeit kennen diese Spieler es nicht mehr anders! – Dann ist die FALSCHE Erwartungshaltung ZEMENTIERT. Die Spieler fügen sich in ihre Verstümmelungen und erleben das Rollenspielhobby verkümmert wie Bonsai-Bäumchen. Durch Qual und unnatürliche Methoden auf einen „beherrschbaren“ Rahmen gestutzte Kreaturen, deren eigentliches Lebensziel ist, sich in den HIMMEL emporzuschwingen und die ganze FREIHEIT des Rollenspielhobbys auszukosten!

Ich finde so etwas stets sehr bedauerlich.

Von „Fakten“ zu FAKTEN – Die Grundtugenden als Stütze

Wie geht man nun mit veröffentlichtem oder selbstersonnenem Material um, ohne seine Runde durch Untugenden ins Unglück zu stürzen?

Informationen oder auch nur Ideen (auch spontane!), die bislang noch KEINE WIRKUNG in der Spielgruppe, im Spielgeschehen hatten, sind „Fakten“. – Sobald ein Spielender, Spieler oder Spielleiter sie aber am Spieltisch, in der Gruppe in das Spielgeschehen einbringt und somit sowohl die „Fiktion“ weiterspinnt, als auch die „Dokumentation“ der Spielwelt fortschreibt, werden aus diesen „Fakten“ die belastbaren, wirkungsmächtigen FAKTEN.

Grundtugenden, die von allen Spielenden Beachtung finden, sind dabei die Plausibilität der Spielwelt, die Konsistenz der Spielweltdarstellung und die Konstanz des Standpunktes der Spielweltinterpretation.

Unter Beachtung dieser Grundtugenden ist auch das Erstellen NEUER EIGENER Spielweltfortschreibungen ZWISCHEN den Spielsitzungen (gemeinhin im Rahmen der Spielsitzungsvorbereitung) unproblematisch. Unter diesen Tugenden wird diese Fortschreibung erst einmal „Fakten“ schaffen, die dann im eigentlichen Spielgeschehen zu FAKTEN werden, ohne irgendwelche Reibungseffekte auszulösen.

Unter diesen Tugenden ist auch das Aufnehmen von von dritter Seite (Verlagen, Fanzines, usw.) publizierter Spielweltfortschreibungen unproblematisch. Das Deklarieren eines Quellenbandes als für die Spielgruppe bzw. die Kampagne als „gültig“ (ganz oder nur in Teilen, ohne oder mit Einschränkungen) gehört zu dem üblichen Verantwortungs- und Aufgabenbereich eines Spielleiters, der unter den obigen Tugenden seine Kampagne PFLEGEN möchte.

Und das EINZIGE, was zählt, ist SEINE Kampagne!

Ob ein Quellenband in eines ANDEREN Spielleiters Kampagne „funktionieren“ mag, ob eine im Internet aufgeschnappte Idee zur Spielwelt“bereicherung“ in der Kampagne des jeweiligen Beitragsschreibers „funktionieren“ mag, ist EGAL!

Es gibt KEINE Garantie, daß irgendeine Ergänzung der Spielwelt-„Fakten“ wirklich zu FAKTEN führen wird, die den obigen Tugenden gerecht werden können!

Einen Quellenband als „ab jetzt für die Gruppe verbindlich“ zu deklarieren, stellt ohne eine ernstliche PRÜFUNG unter den Gesichtspunkten obiger Tugenden IMMER ein Risiko dar die Spielwelt, die gesamte Kampagne zu zerrütten.

Unter Beachtung der Grundtugenden jedoch, wird bei JEDER neu erscheinenden Publikation, bei jeder neuen, aufgeschnappten oder selbst entwickelten, Idee GEPRÜFT, ob sie für die Kampagne tauglich ist.

Das sorgt dafür, daß all die „Fakten“, die für die Kampagne vorliegen, eine Sammlung an potentiell BEREICHERND wirksamen Fakten sind, die IM SPIEL zu den für ALLE Spielenden wahrnehmbaren und relevanten FAKTEN werden können.

Erteilt man der Untugend der „Kanon-Treue“ eine Absage und bietet man die Werte der Individualität, der Einzigartigkeit, der persönlichen Leidenschaft auf, dann erhält man eine Spielgruppe mit IDENTITÄT, ein eigenes Profil als Spielleiter, eine Kampagne, die einem als etwas BESONDERES, etwas EINZIGARTIGES in Erinnerung bleibt.

Man hat nicht als eine von hunderten, von tausenden Gruppen die stets identischen, vorgezeichneten Dinge getan, sondern man hat seinen EIGENEN AUSDRUCK im Spiel gefunden!

Das ist es, weshalb ich das Hobby Rollenspielen so lange schon so intensiv betreibe. Es ist ein sehr persönliches, individuelles, einzigartiges und zutiefst moralisch befriedigendes aktives Tun, das den Unterschied ausmacht, ob man sagt: „Ich spiele Rollenspiele“ oder ob man sagt: „Ich BIN Rollenspieler“.

Das Problem UNKONTROLLIERTER „Fakten“-Fülle und „Fakten“-Verfügbarkeit

Ich habe oben stets betont, daß die ERWARTUNGSHALTUNG den Kanon einzuhalten von den SPIELERN in die Gruppen getragen wird.

Das ist mein Eindruck.

Nicht der Spielleiter ist es, dem wirklich an Kanon-Treue gelegen ist, sondern es sind die „überinformierten“ Spieler!

Was meine ich mit „überinformiert“`?

Ein Blick zurück: Früher war es Ehrensache, daß ein Spielleiter in seinen Rollenspiel-Kampagnen EIGENE Welten entwickelt hat (oft mehr als eine). Wer in „gekauften“ Welten gespielt hat, der konnte zwar nach den Grundtugenden spielen, aber sein Ansehen war spürbar geringer als das des „vollindividuellen“ Spielleiters.

In einer Kampagne, die NUR der Spielleiter hinsichtlich der „Fakten“-Lage vollständig kannte, waren den Spielern nur die FAKTEN bekannt. Mehr nicht. Sie hatten auch keine Möglichkeit mehr Zugang zu Fakten zu bekommen außer IM SPIEL selbst! – Der Spielleiter entwickelte und pflegte seine Spielwelt und die Spieler spielten in dieser und änderten sie dadurch. Die AKTUELLSTEN Fakten waren somit stets das, was in der letzten Spielsitzung passiert ist. Aktueller als das ging es nicht!

Das wurde anders, als die Verlage ihre Produktstrategie änderten.

Anfangs wurden REGELWERKE und – für den Spielleiter – Monster, NSCs, Abenteuerschauplätze usw. produziert. – Regelwerke verkaufen sich nach wie vor am Besten. Fast jeder Spieler in einer Spielrunde hat die Grundregeln zur Verfügung. Manche noch mehr als das, aber mit den Grundregeln allein kann man als Spieler jahre- ja jahrzehntelang spielen.

Die Spielleiter kauften Material, Bausteine um ihre eigenen Spielwelten auszustatten und zu vertiefen. Und manchmal kauften sie auch andere Spielwelten „von der Stange“. Diese waren oft auch nur BAUKÄSTEN (Traveller gab nur einen Rahmen vor, aber im für das eigentliche Spiel relevanten Detailbereich MUSSTE der Spielleiter SELBST seine individuell unterschiedliche Spielwelt, sein Universum erschaffen!).

Erst nach und nach kamen stärker „ausdefinierte“ Spielwelten auf.

Mit dem Maße, wo Spielwelten „von der Stange“ aufkamen, ging auch das Selbstentwickeln individueller Spielwelten in vielen Spielrunden zurück. Manche Rollenspiele entdecken gerade wieder die Tugenden dieser alten Zeit (Diaspora, Stars without Number, usw.). Aber die meisten Rollenspielwelten heutzutage sind „Fertighäuser“. Schnell zu beziehen und schnell darin erste Abenteuer zu erleben.

Das wäre auch noch kein Problem, wenn nicht die Verlage auf die Idee gekommen wären, mittels ihrer Quellenbände GESCHICHTEN zu „erzählen“, statt einfach nur eine VORGESCHICHTE der Spielwelt bis zum ersten Spieltag zu präsentieren.

Die Geschichten, die in der Spielwelt angesiedelt waren und die weitere Entwicklung der Spielwelt waren viel näher beim ROMAN als beim SPIEL angesiedelt. – Dragonlance stellt für mich den Anfang dieser neuen Produktstrategie dar. Romane, sehr stark railroading-lastige „Abenteuer“ und eine Spielwelt, deren ZUKUNFT aus Sicht des aktuellen Zeitstandes der SC-Gruppe bereits FESTSTAND!

Metaplot. Diese Untugend für die SPIEL-Interessierten im Rollenspielhobby griff immer mehr um sich.

Da nun aber ALLE Produkte verfügbar waren (im Gegensatz zur nur von einem einzigen SL in seiner eigenen Wohnung ausgeheckten Spielwelt), konnten auch die SPIELER solche Produkte erwerben!

Das Campaign Setting, die Romane, die Roman-SERIEN, die Computerspiele.

All das liefert „Fakten“ über die betreffende Spielwelt!

Wer sich als Spieler Romane zur Spielwelt, in der seine Spielgruppe gerade spielt, anschafft, wer das Computerspiel spielt, wer die Comics liest, wer sich Quellenbände zur Herkunftsregion seines SCs, zu dessen Magierakademie, zu dessen Bekleidung usw. anschafft, der erwirbt „Fakten“-Sammlungen über die Spielwelt.

Diese „Fakten“ können dem Spielleiter und allen anderen Spielern auch bekannt sein, müssen aber nicht.

Das Problem liegt darin, daß hier der SPIELLEITER als die EINE und EINZIGE Instanz für die Anwendung der Grundtugenden beim Zusammenstellen dessen, was für SEINE Kampagne die ZULÄSSIGEN „Fakten“ sind, ÜBERGANGEN wird!

In den alten Zeiten der noch deutlich unterspezifizierten Spielweltprodukte hatte der Spielleiter meist als EINZIGER in seiner Gruppe diese Quellenbände angeschafft und entsprechend den Grundtugenden gefiltert und nur das, was VERTRÄGLICH und ZUTRÄGLICH für seine Kampagne war, davon zugelassen.

Jetzt, wo viele Spieler auch über exzellente Kenntnisse von „Fakten“ verfügen, kommt ein Problem auf, das es früher nicht gab.

Diese „Fakten“ sind ja noch OHNE WIRKUNG! Erst wenn sie IM SPIEL dieser einen Gruppe wirklich zu FAKTEN gemacht werden, erlangen sie Wirkungsmacht.

Nur, diese „Fakten“ können in der konkreten Ausgestaltung der Spielwelt des Spielleiters FALSCH sein! Sie sind nur dann wirklich WAHR, wenn sie zu FAKTEN gemacht wurden.

Die am LESEN fast mehr als am SPIELEN interessiert wirkenden Spieler lesen sich eine FÜLLE an „Fakten“ an, deren Verträglichkeit mit den Absichten und der Ausgestaltung der Spielwelt durch den Spielleiter nicht absehbar ist. Und diese „Fakten“ sind es, die ANTWORTEN, die GEWISSHEITEN denen geben, die sie durch Lesen (nicht durch Spielen) erworben haben. Aber sie waren bislang noch nicht relevant im Spiel!

Das führt dazu, daß sich eine Art „Druck“ anstaut, die erworbenen Detailkenntnisse (aber alles immer noch keine echten FAKTEN, sondern nur „Fakten“!) im Spiel BESTÄTIGT zu bekommen. Durch diese Bestätigung, daß es genau so ist, wie man es gelesen hat, wird der „Fakt“ zum FAKT.

Man erspielt sich nicht einen NEUEN Fakt durch eigene Ideen und spielerische Findigkeit, sondern man sorgt nur dafür, daß ein angelesener „Fakt“ aus einer von einer externen Autorität (dem Verlag) stammenden Quelle zu einem FAKT in der eigenen Runde wird. Das sorgt dafür, daß die Investition in Zeit und Geld diese „Fakten“ aus den Verlagsprodukten anzulesen nicht vergebens war.

Daher auch der WIDERSTAND mancher Spieler gegen „mutwillige Änderungen am Kanon“ durch Spielleiter!

Wer DSA in Aventurien nach den aktuellen Regeln und Publikationen spielen möchte und dabei ZUVIEL UNKONTROLLIERTE „Fakten“ angehäuft hat, der übt DRUCK auf den Spielleiter aus, diese Investition an Zeit und Geld in diese „Fakten“ zu einer „lohnenden“ zu machen. So, wie der Spieler über Romane und Quellenbände Aventurien zu „kennen“ meint, so ERWARTET er vom SL DESSEN Aventurien auch gefälligst dargeboten zu bekommen!

Und das führt zu dem Druck der SPIELER auf die Spielleiter, von dem ich oben schrieb.

Das Kanonische kann nämlich einem Spielleiter mit auch nur ein wenig Rückgrat und einem Hauch eigener Ideen herzlich EGAL sein.

Aber wenn gleich mehrere Spieler in der Spielgruppe zu nörgeln anfangen, daß man doch schließlich in Aventurien spiele und man da dies nicht und das nicht machen könne und daß das und das eh nicht ginge, weil es in Band XYZ ganz anders geschildert wurde, TÖTET das die Individualität der Gruppe und damit einen KERNWERT der SPIELFREIHEIT der gesamten Gruppe im Keime!

Wer lauter „Zahlen“ gelernt hat, der ist mit „Malen nach Zahlen“ zufrieden und der will nach einer Weile auch nicht mehr anders als nach Zahlen zu malen. – Er ist schöpferisch VERKRÜPPELT!

Und das passierte in Deutschland durch die hierzulande von mir als Die Deutsche Krankheit im Rollenspiel summarisch bezeichneten Strömungen der „Roman-ifizierung “ von Abenteuer-Publikationen (zum LESEN aber nicht zum Spielen geeignet – Abenteuer-Entwickler sieht sich als „Autor“), der Überspezifikation von Spielwelten (wie viele Cthulhu-Regionenbände über das Oberallgäu braucht  man wirklich?), der Splat-Book-Schwemme (für jeden Scheiß-Archetypen und seinen Bruder ein eigenes Buch!) , usw.

Ihr wollt FAKTEN? Ihr könnt FAKTEN doch garnicht ertragen!

Das ist des Übels Kern. – Wenn es den Spielern und den Spielleitern KLAR wäre, wie gewichtig die Unterschiede zwischen „Fakten“ ohne Wirkungsmacht im bisherigen Spiel  und FAKTEN mit echter, zementierter Wirkung sind, dann könnte m.E. bewußter mit solchen Verlagsproduktreihen umgegangen werden, die zu „komatösen Spielgruppen durch Kanon-Treue“ führen.

Daher dieser Artikel hier, in welchem ich meine Sicht auf die Handhabung und Bedeutung von Fakten im Rollenspiel dargelegt habe.

Ich habe versucht meine Erklärung für die heutige Situation zu vermitteln. Ich sehe im unkontrollierten Zugang zu „Fakten“-Sammlungen den Grund für die „Kanon-Treue“-Problematik. Ich sehe im nicht von den Grundtugenden geprägten Umgang mit externen „Fakten“-Quellen (insbesondere von „externen Autoritäten“ wie Verlagen) den Grund für den Fakten-Dschungel, der die Spieler in klebriger kanonischer Faktendichte formlich zu ersticken droht.

All dies ist behebbar, wenn man mit Rückgrat und Bewußtheit mit Rollenspielprodukten umgeht. Kanon-Treue ist KEINE wahrhaftige Tugend für das Rollenspiel, sondern deren Gegenteil! Sie führt ins Verderben!

Ich habe hier viel von Tugenden und moralischer Verpflichtung in der Spielpraxis geschrieben. Eigentlich hatte ich geplant dieses Thema mit einem anderen Artikel zu starten, in welchem es direkt um SPIELMORAL geht. Aber nun kam aus aktuellem Anlaß dieser Artikel zu Fakten zuvor. Daher werde ich den Spielmoral-Artikel, sobald es meine Zeit erlaubt, fertigstellen und nachreichen.

Über Kommentare hier oder Beiträge im Diskussions-Thread im Forum würde ich mich wieder sehr freuen.

Savage Love (3) – GGG: Good, Giving, Game!

Fesselnde Spielrunde

Fast! Furious! Fun!

Das kennt jeder, er mal auch nur entfernt dem generischen Rollenspielregelsystem Savage Worlds begegnet ist. Denn F!F!F! ist als markanter Werbeslogan seit 2003 präsent.

Natürlich kann man auch andere Rollenspiele Fast! und Furious! spielen – und was auch immer für einen Rollenspieler Fun! sein mag, in diese Abgründe möchte ich lieber gar nicht erst abtauchen.

Aber: Fast! Furious! Fun! soll eine QUALITÄT bezeichnen.

Genauer gesagt eigentlich mehrere. Und zwar die Qualität des Spiels, der Spielregeln, der Mechanismen, das mittels dieses Slogans verkauft werden soll. Dann die Qualität der „Regel-Denkweise“, mit der man an Regeländerungen, Hausregeln, Setting-Adaptionen herangehe soll. Und nicht zuletzt die Qualität des Spielerlebnisses der  Spielenden – Spielleiter wie Spieler – in einer Spielsitzung mit dem Savage-Worlds-Regelsystem.

Da hier viele unterschiedliche und vor allem von den Entwicklern des Produktes Savage Worlds auch nur begrenzt oder überhaupt nicht zu beeinflussende Qualitäten zusammen unter F!F!F! fallen, ist der Begriff – obschon ein griffiger Werbeslogan – natürlich nicht belastbar.

Es reicht aber aus, um eine generelle Denkweise, eine HALTUNG zum Spielen allgemein, bei den Savages zu motivieren. – Und das ist das Beeindruckende! – Die Savages nehmen F!F!F! als WERT, als WERT-Maßstab an, den sie bei der Beurteilung von Produkten, Fan-Entwicklungen, Conversions, usw. verwenden.

Solch ein Wert-Maßstab muß also nicht wirklich wissenschaftlich präsise und belastbar ausformuliert und dargelegt sein, um zu WIRKEN.

Gehen wir einen Buchstaben im Alphabet weiter.

GGG.

Das ist, was Dan Savage in seiner Savage-Love-Ratgeberkolumne geprägt hat.

Was steht hinter GGG?

„GGG stands for ‚good, giving, and game,‘ which is what we should all strive to be for our sex partners. Think ‚good in bed,‘ ‚giving equal time and equal pleasure,‘ and ‚game for anything—within reason.'“

Good = Gut im Bett (bzw. gut im Spiel) sein.

Giving = Sicherstellen, daß keiner zu kurz kommt, daß alle ihren Anteil am Vergnügen haben.

Game = Mitspielen, mitmachen, alles mal ausprobieren – innerhalb der persönlichen Wohlfühlzone.

Bezieht sich FFF als Slogan vornehmlich auf Produktqualitäten, Entwurfsvorgaben und realisierte Spielerlebnisse, ist GGG von Anfang an als eine „moralische Forderung“ an die SPIELENDEN gedacht.

Good = ein guter Mitspieler sein, sich ins Spiel reinhängen, daß alle etwas davon haben

Giving = ein guter Mitspieler sein, sich im Spiel zusammen mit allen anderen Spielende vergnügen und nicht nur egoistisch „auf seine Kosten kommen“ wollen

Game = ein guter Mitspieler sein, sich aufgeschlossen auf Neues, neue Spiele, neue Ideen der anderen Spielenden, neue Entwicklungen im Spiel einlassen – solange sie nicht die eigenen Wohlfühlgrenzen überschreiten

Bezeichnet FFF ein gutes Spiel, eine gute Entwurfsrichtung, ein gutes Spielerlebnis, so bezeichnet GGG einen GUTEN MITSPIELER.

Und das gilt für das Mitspielen als Spieler wie als Spielleiter.

Gut ist schwammig. – Klar. – Als IT-Anforderungsmanager würde ich solche Formulierungen wie „ich hätte gerne eine gute Benutzeroberfläche“ als KEINE Anforderung, weil „gut“ nicht eindeutig, nicht verifizierbar, nicht erfüllbar ist, zurückweisen. Aber als Anforderungsmanager habe ich andere Ziele und andere Verantwortlichkeiten – mir selbst, meinem Arbeitgeber und dessen Kunden gegenüber.

Im Rollenspielhobby spiele ich mit Spielfreunden.

Ich stehe hier in einer ganz anderen Art der Beziehung zu den Beteiligten als in einer beruflichen, professionellen Situation wie z.B. im IT-Projektgeschäft.

Und im Privaten, im Hobby, da habe ich eine GUTE Vorstellung davon, was „gut“ FÜR MICH bedeutet.

Und auch meine Mitspieler haben für sich IHRE Vorstellungen, was „gut“ FÜR SIE bedeutet.

Gehen diese halbwegs in die gleiche Richtung, dann harmoniert die Spielgruppe und dadurch wird das Spielen, das Spielerleben, das Spielgestalten, das Mitspielen für alle BESSER, BEFRIEDIGENDER.

Doch wäre es schlimm, wenn jeder eine eigene, harte „Schablone“ seiner Interessen und Bedürfnisse zur rollenspielerischen Befriedigung hätte und diese einfach nur starr zum „Abgleich“ mit andern „kompatiblen“ Spielern hervorziehen und einen Übereinstimmunsgrad schön rational berechnen würde.

Eigene Vorlieben – ich rede hier von MEINEN eigenen Vorlieben – sind aber NICHT STARR!

Es sind viel mehr „diffuse Wölkchen“ an „Wohlfühlraum“, der keine scharfen Grenzen hat, sondern eher weiche Übergänge bietet. – Dieser Wohlfühlraum kann den anderer Spieler durchdringen. Das muß nicht (chemische Bindungs-Idee) eine so starke Überlappung sein, daß man fest mit einem anderen Spieler zusammen bleiben möchte, sondern es reicht, wenn es unter den AKTUELLEN Umständen (z.B. jetzt auf dem Con, hier in dieser Spielrunde, mit diesem Regelsystem) nur GENUG, nur ausreichend überlappt, daß alle Beteiligten miteinander befriedigende Spielerlebnisse haben.

Und da kommt GGG ins Spiel.

Good, Giving, Game! – Das übertrage ich aus der sexuellen Ursprungsbezugsumgebung auf diese besondere Form von „vorstellungsteilendem Gruppensex“, den das Rollenspiel in der Gruppe darstellt. Und im Rollenspiel sorgt GGG dafür, daß JEDER EINZELNE in der Gruppe sich nach den GGG-Werte-Vorgaben als GUTER MITSPIELER zu engagieren versucht.

Versuchen das alle miteinander, dann stellt dies nicht einfach eine passive, nur zur Kenntnis genommene Übereinstimmung einer harten Bedürfnis-Schablone dar, sondern alle bewegen ihre aktuellen Bedürfnisse, Spielgelüste, Interessen AKTIV aufeinander zu.

Natürlich wird man nicht in jeder Gruppe wirklich JEDE Facette der eigenen Spiellust befriedigt bekommen. – Aber das ist ohnehin unmöglich, weil sich manche Facetten zur selben Zeit ausschließen oder zumindest nur in Ausnahmefällen gleichzeitig erfüllbar sind.

Zudem wäre es EGOISTISCH mit solch einem ANSPRUCH in eine Runde von Menschen mit Lust zum GEMEINSAMEN Spiel zu gehen. – So etwas machen nur LUSCHEN-Spieler, BESCHISS-Spielleiter und andere den Spielfrieden störenden, egoistisch ihre Interessen über den Rest der Gruppe stellenden Leute! – Das ist MISSBRAUCH der Mitspieler! Die Mitspieler werden zur Befriedigung der eigenen Lustinteressen wie Objekte behandelt – ohne Interesse, ohne Gefühl, ohne Rücksicht auf deren Befindlichkeiten.

In diesem Punkt ist die Position von Dan Savage in puncto Sex und meine Position in puncto Rollenspielen identisch.

Die Werte-Vorgaben von GGG sind einfach praktische, aktive Rücksichtnahme, Achtsamkeit und Mitgefühl, Mitsorge für die anderen, mit denen man ES gerade tut.

Und das gilt für Sex und für Rollenspiel gleichermaßen, finde ich.

Als letzten Teil werde ich demnächst auf die „Rückeroberung von Begriffen“ als heilsame Vorgehensweise zum Zuschütten von Gräben und zum Entladen von verbalen Geschützen auf Savage Love Bezug nehmen.

Savage Love (2) – Campsite Rule

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Der Begriff „Campsite rule“ gehört in den Natur- und Umweltschutz und meint eigentlich, daß man beim Campen in der freien Natur den Lagerplatz nicht aufgewühlt, zerstört, verschmutzt zurücklassen soll, sondern – wenn möglich – in besserem Zustand als zuvor.

Dan Savage wendet diesen Begriff als „moralische Einstellung“ beim Umgang von altersmäßig stark unterschiedlichen Sexualpartnern an. Auf eine Frage eines Ratsuchenden, der sich mit einer 15 Jahre jüngeren Frau eingelassen hat, antwortet er:

„Honoring my campsite rule doesn’t merely require that you be honest, caring, open, and GGG, OLD. It also means that you do all you can to make sure this young woman emerges from this relationship with no STIs, no fertilized eggs, no restraining orders, no emotional trauma, and with improved sexual skills.“

Auch Rollenspieler haben es mit bisweile sehr unterschiedlich alten, unterschiedlich erfahrenen Mitspielern zu tun. Und da Rollenspiel meist nicht nur eine Sache von zwei Personen ist, sondern von einer ganzen Gruppe, kann es sogar sehr krasse Alters- und Erfahrungsunterschiede am Spieltisch geben.

Natürlich dürfte jedem bewußt sein, daß man gerade bei unerfahrenen Mitspielern RÜCKSICHT nimmt, egal ob es sehr junge Mitspieler sind, oder ob es Leute sind, die in höherem Alter erstmals das Rollenspielhobby ausprobieren wollen.

Niemand findet es akzeptabel, wenn ein Spieler mit souveräner Regelbeherrschung und gnadenloser taktischer Zermürbung den Charakter eines Newbies, eines Jugendlichen, eines neugierigen Anfängers in Grund und Boden stampft. – Es gilt ein gewisser „Welpenschutz“ als die normale, die sozial verträgliche Art neue bzw. unerfahrene Leute ins Spiel zu bringen.

Man bedenke: EGAL wie viele Rollenspiele man bis zur Kommasetzung in und auswendig kennen und wieviele Regelsysteme man bis zur Leistungsgrenze ausnutzend anwenden können mag, man ist IMMER in weit MEHR Rollenspielen ein totaler ANFÄNGER.

Die „Campsite Rule“ geht aber über den einfachen „Welpenschutz“ hinaus.

Der erfahrenere Mitspieler soll dafür Sorge tragen, daß die Unerfahrenen, die Jüngeren, die Neuen in der Spielgruppe eine Spielsitzung in möglichst „besserem Zustand“ verlassen, als sie die Spielsitzung begonnen haben.

Das schließt neben dem SCHUTZ vor schlechten, frustrierenden, sozial gestörten, den Spieler traumatisierenden Spielerlebnissen auch eine PFLICHT ZUR LEHRE mit ein.

Ich habe zu oft erlebt, wie neue Mitspieler von den „Alterfahrenen“ nicht für voll genommen wurden.  Da wird ihnen in ihren Charakter reingeredet, daß von der versprochenden Spielfreiheit („Im Rollenspiel kann man ALLES tun.“) nur noch übrig bleibt, was einen die dominanten Platzhirsche tun lassen („Mach das so, wie ich es Dir sage!“).

Das ist SCHEISSE!

Und – offengestanden – auch ICH habe mich schon mal so beschissen gegenüber Neuen verhalten.

Wenn ich spielen will, wenn ICH nur MEINEN Spaß, MEINE Befriedigung im Sinn habe und nicht mit ACHTSAMKEIT auf andere Mitspieler eingehe, dann kann es sein, daß ich diesen genau das nehme, was ich gerade am Pen&Paper-Hobby für DAS Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen „rollenspielartigen“ Spielformen halte: die SPIELFREIHEIT.

Ein Anfänger kann einen ineffektiven, einen hinderlichen, einen eine „high-powered“-Gruppe durchaus ausbremsenden Charakter spielen. Aber ein Anfänger spielt NICHT an sich eine LUSCHE! – Luschen-Charaktere werden NICHT aus Unerfahenheit mit einem Regelsystem zu einer Lusche, sondern aufgrund der sozialen Rücksichtslosigkeit der Luschen-SPIELER. – Unerfahrenheit mit einem Regelsystem kann man nämlich durch FREUNDLICHES und MOTIVIERENDES Informieren beseitigen.

Hier LERNT der Neue, wie man mit diesem Regelsystem umgeht.
Hier LERNT der Erst-Rollenspielen, daß in einer Spielgruppe jeder für den Spaß aller anderen und nicht nur für seinen eigenen Spaß verantwortlich ist.

Und das ist MEINE Interpretation der „Campsite Rule“ für das Pen&Paper-Rollenspiel.

Ob beim Sex oder beim Rollenspiel, wenn nur EIN Beteiligter seine Befriedigung auf Kosten aller anderen erreichen möchte, dann ist das nicht in Ordnung. Und GERADE die Erfahreneren haben die moralische Verantwortung das gemeinsame Erlebnis für die weniger Erfahrenen zu einem GUTEN Erlebnis werden zu lassen. Und gut war es, wenn man danach LUST hat es in gleicher Besetzung gleich nochmal zu tun.

Im nächsten Savage-Love-Beitrag: GGG, weit über FFF hinaus.

Savage Love (1) – Was zur HÖLLE ist Savage Love?

Vorbemerkung: Nein, ich schreibe hier NICHT (nur) über Savage Worlds, auch wenn es bei dem Titel vielleicht so aussieht. Ich schreibe hier für ROLLENSPIELER, darunter auch solche, die Savage Worlds spielen.

Was ist Savage Love?

Man könnte bei dem Begriff darauf kommen, daß hier etwas Wildes, Ungezügeltes, Rollenspielerisches gemeint ist. So etwas wie das hier:

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Ja, genau! Fantasy. Flügel. Fummelei. – Das ist doch FFF und damit Savage.

Schon, aber das meinte ich nicht.

Wer meine Einstellung zu „Realismus“ im Rollenspiel nicht kennt, der käme eventuell darauf, daß das hier gemeint sein könnte:

Nun, so „realistisch“ ist der Begriff nicht gemeint. Eher phantasievoll-romantisch (unter anderem).

Also sowas hier?

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Uärks! – NEIN! – Oje, meine Augen! Meine armen Augen!

Also das auch nicht.

Jetzt reicht’s langsam! Los, pack aus, was mit Savage Love gemeint ist, oder ich wende diesen Ratgeber für die praktische Hausfrau von 1951 an:

Da kommt zwar der Pulp-Fan in mir hoch – doch duckt der sich gleich wieder, vor so viel ungezügelter Brutalität wilder Frauen, denen ihre Weicheier-Kerle ein anständiges Paar Schuhe verwehrt haben.

Savage Love – This time for real!

Das ist es, was ich meinte. Eine Sex-Ratgeber-Kolumne von Dan Savage (TOLLER Name!).

In seiner Kolumne Savage Love bietet Mr. Savage Ratsuchenden in Sachen Sex auf seine höchstpersönliche Weise seinen Rat an. Und dabei bietet er DEUTLICH Profil! Er steht zu seinen eigenen Werten und läßt dies in seinen Ratschlägen auch stets spüren.

Wer mehr im Überblick über Savage Love erfahren möchte, den möchte ich auf die Wikipedia zu Savage Love verweisen.

OK.

Savage Love ist also ein Sex-Ratgeber eines unbequemen, homosexuellen, politisch aktiven Endvierzigers.

Da darf der Rollenspieler fragen: „UWHIDZT?“

Einiges.

Vor allem, wenn man Rollenspiel so spielt, wie ICH es spiele.

Rollenspielgruppensex

Ich bin GENUSS-Rollenspieler. Ich brauche keinen Wettbewerb, kein Leistungsdenken, kein Fast-Food-Spielerlebnis voller Oberflächlichkeit, das einen hungriger als vorher zurück läßt.

Ich mag es das Hobby in all seinen Facetten kennenzulernen, es in den Facetten, die MICH heiß machen, auszuüben und so meine SPIELLUST zu befriedigen.

Für mich hat GUTES Rollenspiel eine ähnliche Lusterfüllung (aber auf anderer Ebene) wie GUTER Sex.

Und daher liegt es zumindest für mich nahe, daß ich hier den Transfer von manchen Tipps dieser Kolumne zur Rollenspielpraxis tätige.

Dies umso mehr, als Dan Savage als Persönlichkeit einige Ideen hat und einiges unternimmt, das ich nicht nur respektiere, sondern daß ich direkt im Rollenspielhobby nicht nur für anwendbar, sondern sogar für sehr relevant halte.

Daher möchte ich in den folgenden Artikeln unter dem Savage-Love-Titel auf ein paar seiner markanten Aussagen und Ansichten eingehen, und darlegen, wo und wie ich diese im Rollenspielhobby für entsprechend angebracht halte.

Über Kommentare zur von mir gesehenen „Sex and the Roleplaying-Game“-Verwandtschaft würde ich mich freuen.