Savage Love (3) – GGG: Good, Giving, Game!

Fesselnde Spielrunde

Fast! Furious! Fun!

Das kennt jeder, er mal auch nur entfernt dem generischen Rollenspielregelsystem Savage Worlds begegnet ist. Denn F!F!F! ist als markanter Werbeslogan seit 2003 präsent.

Natürlich kann man auch andere Rollenspiele Fast! und Furious! spielen – und was auch immer für einen Rollenspieler Fun! sein mag, in diese Abgründe möchte ich lieber gar nicht erst abtauchen.

Aber: Fast! Furious! Fun! soll eine QUALITÄT bezeichnen.

Genauer gesagt eigentlich mehrere. Und zwar die Qualität des Spiels, der Spielregeln, der Mechanismen, das mittels dieses Slogans verkauft werden soll. Dann die Qualität der „Regel-Denkweise“, mit der man an Regeländerungen, Hausregeln, Setting-Adaptionen herangehe soll. Und nicht zuletzt die Qualität des Spielerlebnisses der  Spielenden – Spielleiter wie Spieler – in einer Spielsitzung mit dem Savage-Worlds-Regelsystem.

Da hier viele unterschiedliche und vor allem von den Entwicklern des Produktes Savage Worlds auch nur begrenzt oder überhaupt nicht zu beeinflussende Qualitäten zusammen unter F!F!F! fallen, ist der Begriff – obschon ein griffiger Werbeslogan – natürlich nicht belastbar.

Es reicht aber aus, um eine generelle Denkweise, eine HALTUNG zum Spielen allgemein, bei den Savages zu motivieren. – Und das ist das Beeindruckende! – Die Savages nehmen F!F!F! als WERT, als WERT-Maßstab an, den sie bei der Beurteilung von Produkten, Fan-Entwicklungen, Conversions, usw. verwenden.

Solch ein Wert-Maßstab muß also nicht wirklich wissenschaftlich präsise und belastbar ausformuliert und dargelegt sein, um zu WIRKEN.

Gehen wir einen Buchstaben im Alphabet weiter.

GGG.

Das ist, was Dan Savage in seiner Savage-Love-Ratgeberkolumne geprägt hat.

Was steht hinter GGG?

„GGG stands for ‚good, giving, and game,‘ which is what we should all strive to be for our sex partners. Think ‚good in bed,‘ ‚giving equal time and equal pleasure,‘ and ‚game for anything—within reason.'“

Good = Gut im Bett (bzw. gut im Spiel) sein.

Giving = Sicherstellen, daß keiner zu kurz kommt, daß alle ihren Anteil am Vergnügen haben.

Game = Mitspielen, mitmachen, alles mal ausprobieren – innerhalb der persönlichen Wohlfühlzone.

Bezieht sich FFF als Slogan vornehmlich auf Produktqualitäten, Entwurfsvorgaben und realisierte Spielerlebnisse, ist GGG von Anfang an als eine „moralische Forderung“ an die SPIELENDEN gedacht.

Good = ein guter Mitspieler sein, sich ins Spiel reinhängen, daß alle etwas davon haben

Giving = ein guter Mitspieler sein, sich im Spiel zusammen mit allen anderen Spielende vergnügen und nicht nur egoistisch „auf seine Kosten kommen“ wollen

Game = ein guter Mitspieler sein, sich aufgeschlossen auf Neues, neue Spiele, neue Ideen der anderen Spielenden, neue Entwicklungen im Spiel einlassen – solange sie nicht die eigenen Wohlfühlgrenzen überschreiten

Bezeichnet FFF ein gutes Spiel, eine gute Entwurfsrichtung, ein gutes Spielerlebnis, so bezeichnet GGG einen GUTEN MITSPIELER.

Und das gilt für das Mitspielen als Spieler wie als Spielleiter.

Gut ist schwammig. – Klar. – Als IT-Anforderungsmanager würde ich solche Formulierungen wie „ich hätte gerne eine gute Benutzeroberfläche“ als KEINE Anforderung, weil „gut“ nicht eindeutig, nicht verifizierbar, nicht erfüllbar ist, zurückweisen. Aber als Anforderungsmanager habe ich andere Ziele und andere Verantwortlichkeiten – mir selbst, meinem Arbeitgeber und dessen Kunden gegenüber.

Im Rollenspielhobby spiele ich mit Spielfreunden.

Ich stehe hier in einer ganz anderen Art der Beziehung zu den Beteiligten als in einer beruflichen, professionellen Situation wie z.B. im IT-Projektgeschäft.

Und im Privaten, im Hobby, da habe ich eine GUTE Vorstellung davon, was „gut“ FÜR MICH bedeutet.

Und auch meine Mitspieler haben für sich IHRE Vorstellungen, was „gut“ FÜR SIE bedeutet.

Gehen diese halbwegs in die gleiche Richtung, dann harmoniert die Spielgruppe und dadurch wird das Spielen, das Spielerleben, das Spielgestalten, das Mitspielen für alle BESSER, BEFRIEDIGENDER.

Doch wäre es schlimm, wenn jeder eine eigene, harte „Schablone“ seiner Interessen und Bedürfnisse zur rollenspielerischen Befriedigung hätte und diese einfach nur starr zum „Abgleich“ mit andern „kompatiblen“ Spielern hervorziehen und einen Übereinstimmunsgrad schön rational berechnen würde.

Eigene Vorlieben – ich rede hier von MEINEN eigenen Vorlieben – sind aber NICHT STARR!

Es sind viel mehr „diffuse Wölkchen“ an „Wohlfühlraum“, der keine scharfen Grenzen hat, sondern eher weiche Übergänge bietet. – Dieser Wohlfühlraum kann den anderer Spieler durchdringen. Das muß nicht (chemische Bindungs-Idee) eine so starke Überlappung sein, daß man fest mit einem anderen Spieler zusammen bleiben möchte, sondern es reicht, wenn es unter den AKTUELLEN Umständen (z.B. jetzt auf dem Con, hier in dieser Spielrunde, mit diesem Regelsystem) nur GENUG, nur ausreichend überlappt, daß alle Beteiligten miteinander befriedigende Spielerlebnisse haben.

Und da kommt GGG ins Spiel.

Good, Giving, Game! – Das übertrage ich aus der sexuellen Ursprungsbezugsumgebung auf diese besondere Form von „vorstellungsteilendem Gruppensex“, den das Rollenspiel in der Gruppe darstellt. Und im Rollenspiel sorgt GGG dafür, daß JEDER EINZELNE in der Gruppe sich nach den GGG-Werte-Vorgaben als GUTER MITSPIELER zu engagieren versucht.

Versuchen das alle miteinander, dann stellt dies nicht einfach eine passive, nur zur Kenntnis genommene Übereinstimmung einer harten Bedürfnis-Schablone dar, sondern alle bewegen ihre aktuellen Bedürfnisse, Spielgelüste, Interessen AKTIV aufeinander zu.

Natürlich wird man nicht in jeder Gruppe wirklich JEDE Facette der eigenen Spiellust befriedigt bekommen. – Aber das ist ohnehin unmöglich, weil sich manche Facetten zur selben Zeit ausschließen oder zumindest nur in Ausnahmefällen gleichzeitig erfüllbar sind.

Zudem wäre es EGOISTISCH mit solch einem ANSPRUCH in eine Runde von Menschen mit Lust zum GEMEINSAMEN Spiel zu gehen. – So etwas machen nur LUSCHEN-Spieler, BESCHISS-Spielleiter und andere den Spielfrieden störenden, egoistisch ihre Interessen über den Rest der Gruppe stellenden Leute! – Das ist MISSBRAUCH der Mitspieler! Die Mitspieler werden zur Befriedigung der eigenen Lustinteressen wie Objekte behandelt – ohne Interesse, ohne Gefühl, ohne Rücksicht auf deren Befindlichkeiten.

In diesem Punkt ist die Position von Dan Savage in puncto Sex und meine Position in puncto Rollenspielen identisch.

Die Werte-Vorgaben von GGG sind einfach praktische, aktive Rücksichtnahme, Achtsamkeit und Mitgefühl, Mitsorge für die anderen, mit denen man ES gerade tut.

Und das gilt für Sex und für Rollenspiel gleichermaßen, finde ich.

Als letzten Teil werde ich demnächst auf die „Rückeroberung von Begriffen“ als heilsame Vorgehensweise zum Zuschütten von Gräben und zum Entladen von verbalen Geschützen auf Savage Love Bezug nehmen.

Savage Love (2) – Campsite Rule

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Der Begriff „Campsite rule“ gehört in den Natur- und Umweltschutz und meint eigentlich, daß man beim Campen in der freien Natur den Lagerplatz nicht aufgewühlt, zerstört, verschmutzt zurücklassen soll, sondern – wenn möglich – in besserem Zustand als zuvor.

Dan Savage wendet diesen Begriff als „moralische Einstellung“ beim Umgang von altersmäßig stark unterschiedlichen Sexualpartnern an. Auf eine Frage eines Ratsuchenden, der sich mit einer 15 Jahre jüngeren Frau eingelassen hat, antwortet er:

„Honoring my campsite rule doesn’t merely require that you be honest, caring, open, and GGG, OLD. It also means that you do all you can to make sure this young woman emerges from this relationship with no STIs, no fertilized eggs, no restraining orders, no emotional trauma, and with improved sexual skills.“

Auch Rollenspieler haben es mit bisweile sehr unterschiedlich alten, unterschiedlich erfahrenen Mitspielern zu tun. Und da Rollenspiel meist nicht nur eine Sache von zwei Personen ist, sondern von einer ganzen Gruppe, kann es sogar sehr krasse Alters- und Erfahrungsunterschiede am Spieltisch geben.

Natürlich dürfte jedem bewußt sein, daß man gerade bei unerfahrenen Mitspielern RÜCKSICHT nimmt, egal ob es sehr junge Mitspieler sind, oder ob es Leute sind, die in höherem Alter erstmals das Rollenspielhobby ausprobieren wollen.

Niemand findet es akzeptabel, wenn ein Spieler mit souveräner Regelbeherrschung und gnadenloser taktischer Zermürbung den Charakter eines Newbies, eines Jugendlichen, eines neugierigen Anfängers in Grund und Boden stampft. – Es gilt ein gewisser „Welpenschutz“ als die normale, die sozial verträgliche Art neue bzw. unerfahrene Leute ins Spiel zu bringen.

Man bedenke: EGAL wie viele Rollenspiele man bis zur Kommasetzung in und auswendig kennen und wieviele Regelsysteme man bis zur Leistungsgrenze ausnutzend anwenden können mag, man ist IMMER in weit MEHR Rollenspielen ein totaler ANFÄNGER.

Die „Campsite Rule“ geht aber über den einfachen „Welpenschutz“ hinaus.

Der erfahrenere Mitspieler soll dafür Sorge tragen, daß die Unerfahrenen, die Jüngeren, die Neuen in der Spielgruppe eine Spielsitzung in möglichst „besserem Zustand“ verlassen, als sie die Spielsitzung begonnen haben.

Das schließt neben dem SCHUTZ vor schlechten, frustrierenden, sozial gestörten, den Spieler traumatisierenden Spielerlebnissen auch eine PFLICHT ZUR LEHRE mit ein.

Ich habe zu oft erlebt, wie neue Mitspieler von den „Alterfahrenen“ nicht für voll genommen wurden.  Da wird ihnen in ihren Charakter reingeredet, daß von der versprochenden Spielfreiheit („Im Rollenspiel kann man ALLES tun.“) nur noch übrig bleibt, was einen die dominanten Platzhirsche tun lassen („Mach das so, wie ich es Dir sage!“).

Das ist SCHEISSE!

Und – offengestanden – auch ICH habe mich schon mal so beschissen gegenüber Neuen verhalten.

Wenn ich spielen will, wenn ICH nur MEINEN Spaß, MEINE Befriedigung im Sinn habe und nicht mit ACHTSAMKEIT auf andere Mitspieler eingehe, dann kann es sein, daß ich diesen genau das nehme, was ich gerade am Pen&Paper-Hobby für DAS Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen „rollenspielartigen“ Spielformen halte: die SPIELFREIHEIT.

Ein Anfänger kann einen ineffektiven, einen hinderlichen, einen eine „high-powered“-Gruppe durchaus ausbremsenden Charakter spielen. Aber ein Anfänger spielt NICHT an sich eine LUSCHE! – Luschen-Charaktere werden NICHT aus Unerfahenheit mit einem Regelsystem zu einer Lusche, sondern aufgrund der sozialen Rücksichtslosigkeit der Luschen-SPIELER. – Unerfahrenheit mit einem Regelsystem kann man nämlich durch FREUNDLICHES und MOTIVIERENDES Informieren beseitigen.

Hier LERNT der Neue, wie man mit diesem Regelsystem umgeht.
Hier LERNT der Erst-Rollenspielen, daß in einer Spielgruppe jeder für den Spaß aller anderen und nicht nur für seinen eigenen Spaß verantwortlich ist.

Und das ist MEINE Interpretation der „Campsite Rule“ für das Pen&Paper-Rollenspiel.

Ob beim Sex oder beim Rollenspiel, wenn nur EIN Beteiligter seine Befriedigung auf Kosten aller anderen erreichen möchte, dann ist das nicht in Ordnung. Und GERADE die Erfahreneren haben die moralische Verantwortung das gemeinsame Erlebnis für die weniger Erfahrenen zu einem GUTEN Erlebnis werden zu lassen. Und gut war es, wenn man danach LUST hat es in gleicher Besetzung gleich nochmal zu tun.

Im nächsten Savage-Love-Beitrag: GGG, weit über FFF hinaus.

Savage Love (1) – Was zur HÖLLE ist Savage Love?

Vorbemerkung: Nein, ich schreibe hier NICHT (nur) über Savage Worlds, auch wenn es bei dem Titel vielleicht so aussieht. Ich schreibe hier für ROLLENSPIELER, darunter auch solche, die Savage Worlds spielen.

Was ist Savage Love?

Man könnte bei dem Begriff darauf kommen, daß hier etwas Wildes, Ungezügeltes, Rollenspielerisches gemeint ist. So etwas wie das hier:

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Ja, genau! Fantasy. Flügel. Fummelei. – Das ist doch FFF und damit Savage.

Schon, aber das meinte ich nicht.

Wer meine Einstellung zu „Realismus“ im Rollenspiel nicht kennt, der käme eventuell darauf, daß das hier gemeint sein könnte:

Nun, so „realistisch“ ist der Begriff nicht gemeint. Eher phantasievoll-romantisch (unter anderem).

Also sowas hier?

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Uärks! – NEIN! – Oje, meine Augen! Meine armen Augen!

Also das auch nicht.

Jetzt reicht’s langsam! Los, pack aus, was mit Savage Love gemeint ist, oder ich wende diesen Ratgeber für die praktische Hausfrau von 1951 an:

Da kommt zwar der Pulp-Fan in mir hoch – doch duckt der sich gleich wieder, vor so viel ungezügelter Brutalität wilder Frauen, denen ihre Weicheier-Kerle ein anständiges Paar Schuhe verwehrt haben.

Savage Love – This time for real!

Das ist es, was ich meinte. Eine Sex-Ratgeber-Kolumne von Dan Savage (TOLLER Name!).

In seiner Kolumne Savage Love bietet Mr. Savage Ratsuchenden in Sachen Sex auf seine höchstpersönliche Weise seinen Rat an. Und dabei bietet er DEUTLICH Profil! Er steht zu seinen eigenen Werten und läßt dies in seinen Ratschlägen auch stets spüren.

Wer mehr im Überblick über Savage Love erfahren möchte, den möchte ich auf die Wikipedia zu Savage Love verweisen.

OK.

Savage Love ist also ein Sex-Ratgeber eines unbequemen, homosexuellen, politisch aktiven Endvierzigers.

Da darf der Rollenspieler fragen: „UWHIDZT?“

Einiges.

Vor allem, wenn man Rollenspiel so spielt, wie ICH es spiele.

Rollenspielgruppensex

Ich bin GENUSS-Rollenspieler. Ich brauche keinen Wettbewerb, kein Leistungsdenken, kein Fast-Food-Spielerlebnis voller Oberflächlichkeit, das einen hungriger als vorher zurück läßt.

Ich mag es das Hobby in all seinen Facetten kennenzulernen, es in den Facetten, die MICH heiß machen, auszuüben und so meine SPIELLUST zu befriedigen.

Für mich hat GUTES Rollenspiel eine ähnliche Lusterfüllung (aber auf anderer Ebene) wie GUTER Sex.

Und daher liegt es zumindest für mich nahe, daß ich hier den Transfer von manchen Tipps dieser Kolumne zur Rollenspielpraxis tätige.

Dies umso mehr, als Dan Savage als Persönlichkeit einige Ideen hat und einiges unternimmt, das ich nicht nur respektiere, sondern daß ich direkt im Rollenspielhobby nicht nur für anwendbar, sondern sogar für sehr relevant halte.

Daher möchte ich in den folgenden Artikeln unter dem Savage-Love-Titel auf ein paar seiner markanten Aussagen und Ansichten eingehen, und darlegen, wo und wie ich diese im Rollenspielhobby für entsprechend angebracht halte.

Über Kommentare zur von mir gesehenen „Sex and the Roleplaying-Game“-Verwandtschaft würde ich mich freuen.