Über die Botanik der Mimose

Letzten Samstag gab es völlig UNERWARTETEN Streß und wüste Konsequenzen rund um die Ankündigung von Dan Proctors neuem Labyrinth-Lord-Supplement Realms of Crawling Chaos in Moritz‘ Seifenkisten-Blog.

Der „Vorfall“

In Moritz‘ Blog schrieb ich einen Kommentar zur beginnenden (und SEHR verständlichen) Euphorie dieses angekündigte Produkt auf Deutsch zu übersetzen, daß ich vor einer Übersetzungseuphorie erst einmal sehen möchte, ob dieses neue Produkt aus der Tastatur Dan Proctors „genauso  CHAOTISCH und SCHLUDRIG erstellt wurde“, wie LL oder MF. – Denn das ist mein Eindruck zur Produktionsqualität der beiden englischsprachigen Originale.

Kaffeeflecken und Eselsohren 2.0

Bei LL kann ich das historisch-nostalgische Übernehmen von holperigen Regelungen, die schlechte Textorganisation, die der Vorlage dieses Retro-Klons entspricht, usw. noch nachvollziehen. Man will als Nostalgiker die alte Vorlage mit samt der alten „Kaffeeflecken und Eselsohren“ des Originals nachbilden, weil diese einen Teil des Charmes für die Nostalgieorientierten ausmachen.

Leider ist aber nicht jeder Käufer eines HEUTE erscheinenden Rollenspielprodukts bereit für etwas sein gutes Geld zu zahlen, das genauso viele Macken, ja sogar DIESELBEN Macken wie ein Altprodukt hat. Vor allem dann nicht, wenn man erst einmal tapetenlange Threads bei Dragonsfoot und anderen OSR-Tummelplätzen durchforsten muß, um die ALTBEKANNTEN Macken soweit in den Griff zu bekommen, daß das Ganze mit vertretbarem Aufwand und vertretbarem Frust-Level spielbar wird.

Aber Nostalgiker stört das ja nicht. Die WOLLEN das so. Die sind hart im Nehmen. Und die kennen die ganzen kryptischen Tricks und Kniffe zur Spielbereitmachung solcher Altsysteme bereits seit Langem.

Alt, aber bitte nicht altbacken

Ich bin nicht so ein Nostalgiker, sondern ich mag es das alte SPIELGEFÜHL zu erleben, aber ich erwarte dieses in einem SOLIDEN, ZEITGEMÄSS produzierten Produkt so dargeboten zu bekommen, daß die Manuskriptqualität eben heutigen Standards entspricht. Bedeutet: Saubere Textorganisation, Bereinigen von wiedersprüchlichen Dingen im Text, Ausrichten der Textpräsentation nach Nutzbarkeitsgesichtspunkten, klare, verständliche Sprache, usw.

Einfach all das, was man heutzutage ohne Probleme auch schon bei Fanprodukten, die im Hobbykeller entstanden sind, finden kann. Solide Qualität. Nicht überbordend barocke Produkte, bei denen die Form vom Inhalt ablenkt, sondern einfach gut geschriebene, gut strukturierte Texte. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Tempora mutantur – betrifft auch die Zukunft

Mutant Future hat in den USA eine Klientel aus alten (und neuen) Gamma-World-Nostalgikern. Es ist letztlich Gamma World 1st oder 2nd Ed. ausgedrückt mit den Spielwerte-„Ausdrucksmitteln“ von Labyrinth Lord (und auch kompatibel zu LL).

Aber MF ist in meinen Augen problematischer als LL. Der Regeltext in MF ist sogar verglichen mit LL außerordentlich SCHLECHT organisiert und es sind Teile aus den LL-Regeln einfach per Copy&Paste, wie es scheint, ins Dokument reinkopiert worden, daß MF mehr wie ein zusammengenähnter Flickenteppich denn wie ein Produkt aus einem Guß wirkt. – Und das ist VERDAMMT SCHADE, denn MF funktioniert durchaus, es macht Spaß, es greift die „Spaßfaktoren“ von Gamma World und Labyrinth Lord auf und macht etwas eigenes daraus. Eigentlich toll.

Wäre es nicht so SCHLUDRIG produziert.

Und genau das schrieb ich in Moritz‘ Blog. Ich schrieb dort, daß MF wohl aus „Faulheit, Schludrigkeit und fehlendem Qualitätsbewußtsein“ so chaotisch wurde, wie es das nun einmal ist.

Majestätsbeleidigung

Wie vermutlich weitbekannt sein dürfte, ist in Moritz‘ Seifenkisten-Forum ein Team seit Mitte letzten Jahres dabei an einer deutschen Mutant Future Ausgabe zu arbeiten. – Im Team sind viele aus den LL- und BoL-Projektteams wieder mit dabei – nicht zuletzt weil Moritz einen mit seiner Begeisterung so anstecken kann und man in diesen Teams wirklich toll zusammenarbeitet.

Nun hatten wir das MF-Manuskript SEHR GENAU durchgesehen, analysiert, überlegt, wie bei einer Übersetzung zu verfahren wäre, usw. – Dabei fielen die Qualitätsmängel sofort ins Auge.

Für eine reine Fan-Übersetzung, bei der keinerlei Geld von irgendwem beteiligt ist, wäre es ja kein Problem eine 1:1-Übersetzung anzufertigen. Sollen sich die Fans, die das Teil kostenlos herunterladen, doch selbst mit der schlechten Textorganisation und allen anderen Macken herumärgern, denn immerhin zahlen sie ja nichts dafür.

Das wäre, wenn es eine reine Fan-Projektsache wäre.

Aber nachdem in Deutschland die Übersetzungen von Labyrinth Lord und Barbarians of Lemuria gut angekommen sind, wollten wir schon, daß ein deutsches MF auch GEDRUCKT erhältlich ist. Wenn man mal so viel Arbeit in solch ein Projekt gesteckt hat, dann ist es schon ein befriedigendes Gefühl ein Druckwerk all des Schweißes, der Tränen, des HERZBLUTES in Händen halten zu können. – Und so waren Gespräche mit deutschen Verlagen, Verhandlungen über Lizenzfragen usw. am Laufen, die Monat um Monat ins Land gehen ließen, ohne daß wir das Startsignal zum Loslegen der eigentlichen Arbeiten bekamen.

Dieweil bearbeitete Moritz mit Engelszungen Dan Proctor, doch ein paar Regelklarstellungen – zur Not als „optionale Regeln“ einfügen zu dürfen. – Das war ÜberzeugungsSCHWERSTarbeit, weil Dan seine Produkte offensichtlich als „perfekt“ betrachtet und die Änderung auch nur eines Striches als völlig inakzeptabel empfindet. (Wie anders doch Pinnacle mit der Savage-Worlds-Übersetzung oder Simon Washbourne mit der Barbarians-of-Lemuria-Übersetzung umgingen. Aber solche Autoren-Souveränität scheint nicht so verbreitet zu sein, wie man es sich manchmal wünschen würde.)

Dann kam die Weihnachtszeit. Und es gab im englischen Original eine Revised Editon von Mutant Future.

Toll! Da werden bestimmt die gröbsten Klopper beseitigt sein! – Dachten wir. – War aber nicht. – Es war sogar so, daß Dan Proctor in seinem Forum damit kokettierte, daß „nur kosmetische Änderungen“ (vornehmlich andere Bilder) vorgenommen wurden.

Schade. – Eine echte Chance vertan die Qualität wirklich anzuheben.

Und diese Vorgeschichte brachte mich zur Kommentar-Äußerung auf Moritz‘ Blog:

WENN es auf dem deutschen Markt irgendjemanden interessieren soll, dann MUSS es einfach bessere Qualität in der Umsetzung, in der Textorganisation, usw. aufweisen, als dies bei MF der Fall ist.

Kann Proctor das?

Das zusammen mit dem obigen Schludrigkeitsvorwurf war die „Majestätsbeleidigung“.

Ich hatte ja keine Ahnung, daß Dan Proctor im deutschen Blog von Moritz mitliest – andererseits STEHE ich zu meinen Vorwürfen, denn es liegt in SEINEN Händen die Qualität seiner Produkte zu verbessern. – Wenn er das will.

Sippenhaft

Die Axt fiel. Dan untersagte aufgrund meines Kommentars im Seifenkisten-Blog dem gesamten Team eine deutsche Mutant-Future-Ausgabe zu erstellen und wandte sich per E-Mail auch an die betreffenden Verlagsverantwortlichen hierzulande. – Und auch für eine deutsche RoCC-Ausgabe sieht es nicht gut aus.

Man stelle sich das einmal bildlich vor: Ein Team an mehr als einem halben Dutzend hochmotivierter Fans hat schon viele, viele Stunden in Vorarbeiten investiert, sich mit Elan um das Übersetzungsprojekt gekümmert, Verhandlungen geführt, Organisatorisches geklärt – und ALLES KOSTENLOS!

Die Leute arbeiten arbeiteten freiwillig, unbezahlt, aus purem Enthusiasmus.

Nun „verplappert“ sich EINER aus dem Team in EINEM Kommentar in einem Blog und DAS GESAMTE TEAM wird BESTRAFT!

Das ist wahrlich KEIN Ruhmesblatt für den Menschen Dan Proctor.

Wir waren alle am Wochenende schwer angeschlagen. Moritz natürlich sehr, weil er ja weiterhin mit Dan Projekte machen möchte und seine gute, enge Beziehung nicht gefährdet sehen möchte. Kann ich voll nachvollziehen. – Aber auch alle anderen im Team, die schon wirklich viel Vorarbeitsaufwände reingesteckt hatten und sich auf die eigentliche produktive Phase gefreut hatten, andere Verpflichtungen dafür abgesagt, Zeit freigehalten und Herzblut gespendet hatten.

Ratet mal, wie ich das finde…

Nuked back to yesteryear

Auf jeden Fall ist das alte MF-DE-Team nicht etwa nur „back to square one“, sondern OHNE Boden. Wir sind nun ein Haufen Leute, die GERNE ein neues Projekt, gerne auch ein Endzeit-mit-Spaß-Projekt, machen würden, aber wir sind noch weiter zurückgeworfen, als vor der MF-DE-Teamfindung letztes Jahr. Jetzt ist erst einmal eine Art Brainstorming angesagt, was wir denn nun überhaupt machen könnten, was wir machen wollten, usw.

Ich finde den hierzulande historisch recht belasteten Begriff „Sippenhaft“ in diesem Falle durchaus angebracht.

So dermaßen UNFAIR und GEMEIN habe ich noch keine Behandlung eines kostenlos arbeitenden Freiwilligen-Teams erlebt.

(Hier möchte ich auf einen interessanten Artikel verweisen, der die Mimosenhaftigkeit und die nachfolgende Brutalreaktion zu erklären vermag: Dunning-Kruger-Effekt)