Realms of Crawling Chaos – Ein erster Eindruck

Hier möchte ich von einem blasenschlagend brühwarmen, ja geradezu heißen neuen Produkt aus dem Labyrinth-Lord-Spektrum berichten. Es ist das Labyrinth-Lord-Supplement Realms of Crawling Chaos (RoCC).

Nach all dem Streß vom Wochenende rund um RoCC auf Moritz‘ Seifenkisten-Blog und Dan Proctors „Project-Killing Spree“ bin ich ja nicht nachtragend. – QUATSCH! – NATÜRLICH bin ich nachtragend! Was da abging war wahrlich etwas, was ich gewiß NICHT so schnell vergessen werde.

Aber losgelöst vom Charakter des Menschen Dan Proctor kann man sich durchaus seine Produkten widmen. Die meisten Spieler werden eh nie mit dem Menschen, sondern nur mit dessen Werken zu tun bekommen. Also soll dies hier auch in meinem Augenmerk stehen.

Über die RoCC-Ankündigung im Buch Eibon hinaus möchte ich hier nach einer ersten, schnellen Durchsicht des Buches ein paar mehr Details als Einblick und Motivation einer Kaufentscheidung geben.

Was bekommt man?

Als Freund der PDF-Produkte habe ich meine Ausgabe von Realms of Crawling Chaos bei RPGnow.com heute für 3,64 Euro erworben. Für diesen Preis bekommt man ein PDF mit 66 Seiten.

Das Titelbild ist farbig mit schwarzem Hintergrund und auch die Buchrückseite ist schwarz – nicht gerade druckerfreundlich. Dafür ist der Rest des Buches aber in durchaus druckerfreundlichem Schwarz-Weiß gehalten. Ohne störenden Zierat an den Seitenrändern oder dergleichen. Das Textbild ist  von anderen LL-Produkten gewohnt schlicht, zweispaltig, mit sparsamen Schwarz-weiß-Illustrationen aufgelockert.

Diese Illustrationen sind auf den ersten Blick alle neu für diesen Unterstützungsband erstellt worden. Es ist keine pixelige Clipart oder Kinderkrakelzeichnung wie in Mutant Future zu finden. Das Buch wirkt optisch sehr stimmig und aus einem Guß.

Was ist drin?

RPGnow-Werbetext verspricht folgendes:

Evil cultists consummate their union with Shub-Niggurath in dark woods no other mortals dare go. Alien terrors lurk in the underworld; their vast riches wait, or their incomprehensible powers could leave you broken, dead, or worse. Adventure in underworlds filled with horrible entities, or the ruins of alien beings that enslaved the ape-like ancestors of mankind. Seek hidden secrets from the arctic wastes to dark, briny seas. But as you approach the ocean, what are those strange longings you feel?

Realms of Crawling Chaos is a Lovecraftian Dark Fantasy campaign supplement for Labyrinth Lord and the Advanced Edition Companion.

In this book you will find:

  • New player races, including white apes, white ape hybrids, sea blood, and subhumans.
  • New spells
  • New monsters
  • New artifacts and a system for designing unique artifacts
  • Rules for psionics, compatible with Mutant future

Und das ist tatsächlich drin:

Realms of Crawling Chaos ist ein Supplement für Labyrinth-Lord-Runden UND für Mutant-Future-Runden. Daher nicht vergessen, daß man dieses Supplement problemlos mit beiden Regelwerken verwenden kann.

Lovecraftian Dark Fantasy (4 Seiten)

In dieser Einführung hebt RoCC auf die folgenden, in HPLs Cthulhu-Geschichten zu findenden Themen ab und stellt kurz dar, wie sie sich in einer LL-Kampagne mit dem RoCC-Supplement aufgreifen lassen:

  • The Insignificance of Man
  • The Vastness of the Universe
  • An Uncaring Natural World
  • The Reality of Man as an Animal
  • Superior Otherworldly Beings
  • Science as a Double Edged Sword

Alles durchaus geläufige Themen, die man aus CoC, deutschem Cthulhu, RoC, ToC auch bereits kennt. In soweit kann man sich thematisch gleich zuhause fühlen.

Die nächsten kurzen Absätze gehen drauf ein, wie man sich seine eigene RoCC-Spielwelt erschafft, Realms of Crawling Chaos, wie man dem Genre, The Lovecraftian Dark Fantasy Genre, umgehen sollte, welche Arten von Kampagnen man mit RoCC am Besten spielen kann, Campaign Types,  daß man sich seine Kulte gefälligst selbst auszudenken hat, wenn man welche haben möchte, Cults, und es wird auf wenigen Zeilen ein Abstecher zu besonderen Orten aus den Cthulhu-Geschichten gemacht, Places.

In Other Sources werden die Inspirationsquellen für RoCC kurz angerissen (es gibt noch einen längeren Anhang dazu).

Game Systems schildert, daß die Rassen-Angaben für die LL-Regeln (Rasse als Klasse) und das ACE-Supplement (Rasse separat von Klasse) aufgeführt werden – effektiv ist dieses Buch also „double statted“ für die Grundfassung und die „Advanced“-Fassung der LL-Regeln.

Character Races  (5 Seiten)

Es werden folgende Rassen vorgestellt:

Sea Blood

Das sind die fischigen Innsmouth-Bewohner. Eine Kombination aus Fighter und Cleric, wenn man die Rassen-Klasse nach den Grund-LL-Regeln anschaut, nach den Advanced Regeln stehen ihnen die meisten Klassen offen, aber als Kleriker können sie am höchsten aufsteigen. Ein Sea Blood hat auf niedrigen Stufen Aussehen und Fähigkeiten wie ein normaler Mensch, ab Stufe 3 überkommt ihn Infravision, und  ab Stufe 4 fängt er an nach und nach zu einem Deep One zu mutieren. – Dieser graduelle Prozess ist mit der Stufe des Charakters verbunden, was eine geradezu unausweichliche Entwicklungsrichtung festschreibt.

Meine Meinung: Das könnte im Spiel zwar interessant sein, einen „Normal-SC“ nach und nach zum Entsetzen des Spielers mutieren zu lassen, aber dazu muß man dem Spieler solch eine Einbahnstraßen-Rasse erst einmal „unterjubeln“, was nach den Grund-LL-Regeln NICHT GEHT! Dort sieht er ja, wie er seine Trefferpunkte bestimmt, daß er von Stufe 1 an Klerikersprüche kann usw. Mit den Advanced Regeln geht das, wenn man dem Spieler solch einen SC „unterschiebt“.

Subhuman

Das sind degenerierte Menschen – eine Mischung aus Menschen und Voormis, prähistorischen Vorgängern der heutigen Menschen, ungeschlachten Kannibalen. Die Subhuman werden nach den Grund-LL-Regeln einfach wie Kämpfer behandelt, nur nach den Advanced Regeln kommen Unterschiede auf: die Subhuman können als Meuchler unbegrenzt aufsteigen, ansonsten nur als Kämpfer, Dieb und Kleriker.

Meine Meinung: Als Spielercharakterklasse bzw. -rasse einen degenerierten Mix aus Vormensch und Mensch zu spielen dürfte nicht gerade eine beliebte Wahl sein. Man hätte einfach nur die Subhumans als normale Fighter mit ungeschlachtem Körperbau, gröberen Gesichtszügen abbilden können. Fertig. – Deswegen sind sie immer noch eher Monster/Gegner/Kultisten zum Bekämpfen, als daß sie SCs abgeben.

White Ape

Das sind intelligente weißbepelzte Affen, die sich ansonsten wie Kämpfer spielen. Sie haben Ultraviolett-Sicht, können ein wenig besser Geheimtüren  aufspüren und dürfen neben Meuchlern und Dieben (unlimitiert) auch Kleriker und Kämpfer sein, wenn sie nach Advanced Regeln bespielt werden, ansonsten verwendet man in allen Aspekten die Kämpfer-Klasse der Grund-LL-Regeln.

Meine Meinung: Nach Advanced Regeln bekommen White Apes mehr Stärke und weniger Charisma. Der „Stärke-Boost“ wäre für mich der einzige Grund einen solchen Affen-SC zu spielen. Denn wer will schon in einer normalen, die Insignifikanz der menschlichen Rasse ausleuchtenden SC-Runde ein bleichen Planet-der-Affen-Evolutionsgewinner spielen? Irgendwie weniger als SC für mich vorstellbar, denn als Monster beim Bewachen uralter Ruinenstädte voll verbotenen Wissens.

White Ape Hybrid

Das ist ein Mix aus Mensch und Weißem Affen. Nicht ganz so stark, genauso häßlich, kann auch Ultraviolett-Sicht und besser Geheimtüren aufspüren. Nach den Advanced Regeln hat ein White Ape Hybrid andere Rassen-Maxima und -Minima für die Attributswerte und kann auch Magier, Illusionist und Kleriker werden.  Nach den Basis-LL-Regeln sind Hybride nur Kämpfer-Diebe.

Meine Meinung: Eine stärkere, dafür häßlichere Fassung des Kämpfer-Dieb-Charakters, wenn man die Basis-LL-Regeln verwendet. Ob man das braucht? Ich nicht. Und einen solchen Hybrid als Magier-SC oder so etwas – da schaudert es mich – aber nicht  aus cthulhoidem Grusel.

In den folgenden kurzen Absätzen Other Advanced Edition Information und Character Classes sind einerseits die Start-Alters-Spannen und Alters-Stufen für die neuen Rassen nach Advanced Regeln angegeben, sowie darauf eingegangen, daß es die für Kleriker so notwendigen (guten) Götter in vielen RoCC-Spielwelten nicht geben wird, so daß die Klasse  Kleriker hier nicht passend ist. Der Absatz dazu ist leider etwas widersprüchlich formuliert, weil er auch die Magier und Illusionisten ausschließt, im nächsten Satz aber wiederum als die drei empfohlenen Basis-Klassen Fighter, Magic-User, Thief aufzählt. – Wie üblich: Hier hätte ein LEKTORAT geholfen den Text klarer, widerspruchsfreier, verständlicher zu machen.

New Magic  (6 Seiten)

Formulae

Hier wird eine neue Art von Magie, die Formulae, eingeführt. Formulae sind eher alchemistische Präparate, die teilweise lange, tagelang, jahrelang zum Erstellen benötigen. Diese treffen die Stimmung der Magieanwendung in Cthulhu-Geschichten eher als die Fire&Forget-Spells, die man bei LL üblicherweise kennt. Von Condense Essential Salts bis Tincture of Living Death sind hier 10 neue Formulae gelistet.

Spells

Spells enthält normale Spruchmagie der üblichen Art. Nicht ganz. Manche haben eine Zauberdauer von 5 Jahren! Von Banish Yog-Sothoth bis Voorish Sign gibt es 14 neue Sprüche mit recht stimmig cthulhoider Ausrichtung.

Monsters (20 Seiten)

Creature Listings enthält für 40 Mythos-Wesen die Spielwerte. Jetzt weiß man endlich, welche Rüstklasse Cthulhu hat, wieviel Schaden er pro Runde austeilt und wie er seine Rettungswürfe macht.

Meine Meinung: Manche bekommen Krämpfe, wenn hier Old Ones mit Spielwerten abgebildet sind. Aber das waren sie in CoC auch schon immer! Und die Werte zu kennen heißt noch lange nicht, daß solch eine Kreatur „schaffbar“ ist und gekillt und gelootet werden kann! – Die Spielwerte für die Großen Alten sind nicht von Pappe und alle haben sie Immunitäten und Psi-Stärke von jenseits, um vorwitzigen Hack&Slash-Lustigen das Hirn zu verflüssigen. Durch die unterschiedlichen Spiewerte bekommt aber der Spielleiter Material an die Hand, um diese Überwesen in jeweils ihrem eigenen Stile agieren zu lassen. Keines ist wie das andere – und die konkreten Spielwert-Unterschiede zeigen das auch klar auf.

Eldritch Artifacts  (3 Seiten)

Hier werden Artefakte aus den im Anhang  angegebenen Quellen an Cthulhu-Geschichten in drei Kategorien aufgeführt: Technology and Power Sources (wie die Gehirnzylinder) , Artifacts (wie das Leuchtende Trapezoeder) und Tomes (die vielen Mythosbücher, die man besser nicht  lesen sollte). – Dabei werden die Bücher nur mit Titel gelistet und für das Lesen und Erschließen auf den Anhang 1 verwiesen.

Meine Meinung zu den Tomes: Diese Art der Textorganisation halte ich für eine unglückliche Lösung, weil die Titelliste einem mitten im Buch so rein garnichts gibt. Und zudem ist offensichtlich auch noch im Layout ein wenig Kuddelmuddel bei den Unterkapiteln hier passiert – nicht sehr schlimm, aber schludrig.

Psionics  (3 Seiten)

Psionics sind NICHTS für Spielercharaktere. Damit beginnt diese kurze Kapitel über Psi-Kräfte in RoCC. Die Mechaniken dahinter sind denen der Geistigen Mutationen von Mutant Future angelehnt, sollen aber insbesondere das Fremdartige der Kräfte der cthulhoiden Wesen herausstreichen helfen. Also keine SC-Psioniker, die aus dem Großen Cthulhu einen Wahrsage-Oktopus machen!  Es werden 18 Psi-Kräfte vorgestellt sowie Regeln zum Feststellen der PSI-Stärke von Kreaturen auf Basis ihrer Weisheit. Die Weisheit wird in Abhängigkeit von deren Intelligenz bestimmt, und zum Feststellen der Intelligenz der Kreaturen wird auf die Advanced Regeln verwiesen. Somit: Man nehme die Advanced Regeln, lege danach die Intelligenz einer Kreatur fest, bestimmen dann anhand der hier aufgeführten Tabelle deren Spanne an Weisheit, würfle die Weisheit aus und schon hat man die PSI-Stärke bestimmt.

Appendix 1: Reading Eldritch Tomes  (2 Seiten)

Dieser Anhang enthält alle Regeln rund um das Lesen von zaubermächtigen mythosverdorbenen alten Büchern und dem, was das Lesen aus dem Leser alles so machen kann.

Auf nur zwei Seiten bekommt man hier geballt GUTE Regeln für solche Themen, die auch mal in nicht-cthulhoiden Kampagnen Eingang finden könnten. Um hier nicht die zwei Seiten abzutippen nur kurz die Kern-Spielbegriffe, um die es hier geht: Ein Buch hat eine Study Time (in den Beispielen 1 Tag bis 1 Woche), die man aufwenden muß, um einen Wurf gegen die Complexity (in den Beispielen 8 bis 16) mit W20 + Int-Mod. zu machen. Dabei erfordert ein Buch zum vollen Verständnis seiner unaussprechlichen Inhalte meist mehrere erfolgreiche Complexity-Rolls (die Beispiele geben 2 bis 20 an). Wurden alle Erfolge aufsummiert, so stehen alle Inhalte, Zauber usw. in dem Buch dem Leser offen (in den Beispielen von 2 bis 10 Sprüche, Formulae). – Klappt ein Complexity-Wurf nicht und ist der Wurf bis zu 5 unter der Complexity, so ist nur die Zeit nutzlos aufgewandt worden. Klappt er nicht und ist um 6 oder mehr unter der Complexity, so muß ein Rettungswurf mit W20 + Weisheits-Mod. gegen die Potency des Buchs gemacht werden (in den Beispielen von 10 bis 18). Klappt dieser Save nicht, so muß er auf der Affliction-Tabelle würfeln und sehen, wie sehr ihn das Buch jetzt korrumpiert, physisch oder psychisch zerrüttet hat. Das kann den Charakter töten (selten), aber viel eher ihn geradezu unspielbar zu einem „Gemüse“ machen. – So kann man auch ohne Sanity-Pseudo-Hitpoints die Charaktere nach und nach psychisch und physisch abschmieren lassen. – Meine Meinung: GUTE Lösung!

Appendix 2: Random Artifacts  (12 Seiten)

Vom Umfang her fast ein wenig lang für „nur einen Anhang“. – Hier ist die „Fabrik“ für mehr Artefakte als im obigen Kapitel beispielhaft aufgeführt wurden. Es werden hier Powers, Form und Alien Characteristics für ein Artefakt anhand umfangreicher Zufallstabellen bestimmt. Eine hilfreiche Sache für den Spielleiter, der stets um neue, originelle Mythos-McGuffins in seinen Runden bemüht ist.

Appendix 3: Psionics in Mutant Future  (1 Seite)

Psionik ist ja angelehnt an die Geistigen Mutationen in Mutant Future und funktioniert somit 1:1 in beiden „Welten“ – MF und RoCC – gleich. Diese Seite mit conversion notes ist für eine Mutants&Mazes-Crossover-Runde von LL und MF gedacht und gibt Hilfestellung für das Einbinden von Psionik in dieser Art von Kampagne.

Appendix 4: Literary Sources  (2 Seiten)

Für alle diejenigen, die noch auf der Suche nach mehr Inspirationsquellen rund um Cthulhu sind, stellen diese beiden Seiten eine nette Leseliste dar. Wer als abgehärteter Mythos-Forscher eh schon alles kennt, wird hier auch keine Sanity mehr verlieren.

Es folgt die obligatorische OGL und eine Werbeseite für Mutant Future.

Das ist es, was man bekommt.

Wie gut ist es denn nun?

Dieses Supplement für LL bietet einen sehr EIGENEN Weg sich den Stoffen von HPL zu nähern. Einen eigenen Weg, aber einen sehr SYMPATHISCHEN.

Zwar geben mir die neuen Rassen als Spielercharakterrassen eher wenig (wer will schon einen degenerierten Menschen oder einen fischigen Dagonanbeter spielen?).

Aber die neuen Zauber, die „Formulae“ mit ihrer eher alchemistischen Ausrichtung (gegenüber der Fire-and-Forget-Spruchmagie vvon LL) , sind sehr stimmig geworden und passen zu einer etwas düsterer ausgerichteten LL-Kampagne bestens.

Auch die Kreaturen-Umsetzungen, bei denen CoC-Fans viele alte Bekannte wiedertreffen werden, sind stimmige Ausdrücke der Cthulhu-Kreaturen in der Spielwert-„Sprache“ von LL. Und ich MAG die Illustrationen! (Bei Shub-Niggurath mußte ich unnatürlich breit grinsen!)

Die Psionik-Regeln sind ein interessanter Weg manche der übernatürlichen Fähigkeiten anders als mit der bekannten Spruchmagie umzusetzen.

Bei den Anhängen hat mir der zum Lesen/Studieren von alten okkulten Büchern am besten gefallen. Dieser Anhang könnte auch gut in einer nicht-cthulhoiden LL-Kampagne, in welcher Magie nicht „nett“ und nicht so zuverlässig ist, gut passen. Auch nützlich, aber für mich nicht so spannend der lange Anhang zum Erschaffen „mythosrelevanter Artefakte“.

RoCC ist (anders als MF) wirklich gut strukturiert, übersichtlich, gut (d.h. im Stile passend) illustriert, und stellt ein GRUNDSOLIDES Produkt dar.

Wer also, wie ich, von der Qualität von MF nicht begeistert war, der sollte sich RoCC einmal anschauen.

Ich halte es für ein empfehlenswertes Produkt zu einem fairen Preis.

Über die Botanik der Mimose

Letzten Samstag gab es völlig UNERWARTETEN Streß und wüste Konsequenzen rund um die Ankündigung von Dan Proctors neuem Labyrinth-Lord-Supplement Realms of Crawling Chaos in Moritz‘ Seifenkisten-Blog.

Der „Vorfall“

In Moritz‘ Blog schrieb ich einen Kommentar zur beginnenden (und SEHR verständlichen) Euphorie dieses angekündigte Produkt auf Deutsch zu übersetzen, daß ich vor einer Übersetzungseuphorie erst einmal sehen möchte, ob dieses neue Produkt aus der Tastatur Dan Proctors „genauso  CHAOTISCH und SCHLUDRIG erstellt wurde“, wie LL oder MF. – Denn das ist mein Eindruck zur Produktionsqualität der beiden englischsprachigen Originale.

Kaffeeflecken und Eselsohren 2.0

Bei LL kann ich das historisch-nostalgische Übernehmen von holperigen Regelungen, die schlechte Textorganisation, die der Vorlage dieses Retro-Klons entspricht, usw. noch nachvollziehen. Man will als Nostalgiker die alte Vorlage mit samt der alten „Kaffeeflecken und Eselsohren“ des Originals nachbilden, weil diese einen Teil des Charmes für die Nostalgieorientierten ausmachen.

Leider ist aber nicht jeder Käufer eines HEUTE erscheinenden Rollenspielprodukts bereit für etwas sein gutes Geld zu zahlen, das genauso viele Macken, ja sogar DIESELBEN Macken wie ein Altprodukt hat. Vor allem dann nicht, wenn man erst einmal tapetenlange Threads bei Dragonsfoot und anderen OSR-Tummelplätzen durchforsten muß, um die ALTBEKANNTEN Macken soweit in den Griff zu bekommen, daß das Ganze mit vertretbarem Aufwand und vertretbarem Frust-Level spielbar wird.

Aber Nostalgiker stört das ja nicht. Die WOLLEN das so. Die sind hart im Nehmen. Und die kennen die ganzen kryptischen Tricks und Kniffe zur Spielbereitmachung solcher Altsysteme bereits seit Langem.

Alt, aber bitte nicht altbacken

Ich bin nicht so ein Nostalgiker, sondern ich mag es das alte SPIELGEFÜHL zu erleben, aber ich erwarte dieses in einem SOLIDEN, ZEITGEMÄSS produzierten Produkt so dargeboten zu bekommen, daß die Manuskriptqualität eben heutigen Standards entspricht. Bedeutet: Saubere Textorganisation, Bereinigen von wiedersprüchlichen Dingen im Text, Ausrichten der Textpräsentation nach Nutzbarkeitsgesichtspunkten, klare, verständliche Sprache, usw.

Einfach all das, was man heutzutage ohne Probleme auch schon bei Fanprodukten, die im Hobbykeller entstanden sind, finden kann. Solide Qualität. Nicht überbordend barocke Produkte, bei denen die Form vom Inhalt ablenkt, sondern einfach gut geschriebene, gut strukturierte Texte. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Tempora mutantur – betrifft auch die Zukunft

Mutant Future hat in den USA eine Klientel aus alten (und neuen) Gamma-World-Nostalgikern. Es ist letztlich Gamma World 1st oder 2nd Ed. ausgedrückt mit den Spielwerte-„Ausdrucksmitteln“ von Labyrinth Lord (und auch kompatibel zu LL).

Aber MF ist in meinen Augen problematischer als LL. Der Regeltext in MF ist sogar verglichen mit LL außerordentlich SCHLECHT organisiert und es sind Teile aus den LL-Regeln einfach per Copy&Paste, wie es scheint, ins Dokument reinkopiert worden, daß MF mehr wie ein zusammengenähnter Flickenteppich denn wie ein Produkt aus einem Guß wirkt. – Und das ist VERDAMMT SCHADE, denn MF funktioniert durchaus, es macht Spaß, es greift die „Spaßfaktoren“ von Gamma World und Labyrinth Lord auf und macht etwas eigenes daraus. Eigentlich toll.

Wäre es nicht so SCHLUDRIG produziert.

Und genau das schrieb ich in Moritz‘ Blog. Ich schrieb dort, daß MF wohl aus „Faulheit, Schludrigkeit und fehlendem Qualitätsbewußtsein“ so chaotisch wurde, wie es das nun einmal ist.

Majestätsbeleidigung

Wie vermutlich weitbekannt sein dürfte, ist in Moritz‘ Seifenkisten-Forum ein Team seit Mitte letzten Jahres dabei an einer deutschen Mutant Future Ausgabe zu arbeiten. – Im Team sind viele aus den LL- und BoL-Projektteams wieder mit dabei – nicht zuletzt weil Moritz einen mit seiner Begeisterung so anstecken kann und man in diesen Teams wirklich toll zusammenarbeitet.

Nun hatten wir das MF-Manuskript SEHR GENAU durchgesehen, analysiert, überlegt, wie bei einer Übersetzung zu verfahren wäre, usw. – Dabei fielen die Qualitätsmängel sofort ins Auge.

Für eine reine Fan-Übersetzung, bei der keinerlei Geld von irgendwem beteiligt ist, wäre es ja kein Problem eine 1:1-Übersetzung anzufertigen. Sollen sich die Fans, die das Teil kostenlos herunterladen, doch selbst mit der schlechten Textorganisation und allen anderen Macken herumärgern, denn immerhin zahlen sie ja nichts dafür.

Das wäre, wenn es eine reine Fan-Projektsache wäre.

Aber nachdem in Deutschland die Übersetzungen von Labyrinth Lord und Barbarians of Lemuria gut angekommen sind, wollten wir schon, daß ein deutsches MF auch GEDRUCKT erhältlich ist. Wenn man mal so viel Arbeit in solch ein Projekt gesteckt hat, dann ist es schon ein befriedigendes Gefühl ein Druckwerk all des Schweißes, der Tränen, des HERZBLUTES in Händen halten zu können. – Und so waren Gespräche mit deutschen Verlagen, Verhandlungen über Lizenzfragen usw. am Laufen, die Monat um Monat ins Land gehen ließen, ohne daß wir das Startsignal zum Loslegen der eigentlichen Arbeiten bekamen.

Dieweil bearbeitete Moritz mit Engelszungen Dan Proctor, doch ein paar Regelklarstellungen – zur Not als „optionale Regeln“ einfügen zu dürfen. – Das war ÜberzeugungsSCHWERSTarbeit, weil Dan seine Produkte offensichtlich als „perfekt“ betrachtet und die Änderung auch nur eines Striches als völlig inakzeptabel empfindet. (Wie anders doch Pinnacle mit der Savage-Worlds-Übersetzung oder Simon Washbourne mit der Barbarians-of-Lemuria-Übersetzung umgingen. Aber solche Autoren-Souveränität scheint nicht so verbreitet zu sein, wie man es sich manchmal wünschen würde.)

Dann kam die Weihnachtszeit. Und es gab im englischen Original eine Revised Editon von Mutant Future.

Toll! Da werden bestimmt die gröbsten Klopper beseitigt sein! – Dachten wir. – War aber nicht. – Es war sogar so, daß Dan Proctor in seinem Forum damit kokettierte, daß „nur kosmetische Änderungen“ (vornehmlich andere Bilder) vorgenommen wurden.

Schade. – Eine echte Chance vertan die Qualität wirklich anzuheben.

Und diese Vorgeschichte brachte mich zur Kommentar-Äußerung auf Moritz‘ Blog:

WENN es auf dem deutschen Markt irgendjemanden interessieren soll, dann MUSS es einfach bessere Qualität in der Umsetzung, in der Textorganisation, usw. aufweisen, als dies bei MF der Fall ist.

Kann Proctor das?

Das zusammen mit dem obigen Schludrigkeitsvorwurf war die „Majestätsbeleidigung“.

Ich hatte ja keine Ahnung, daß Dan Proctor im deutschen Blog von Moritz mitliest – andererseits STEHE ich zu meinen Vorwürfen, denn es liegt in SEINEN Händen die Qualität seiner Produkte zu verbessern. – Wenn er das will.

Sippenhaft

Die Axt fiel. Dan untersagte aufgrund meines Kommentars im Seifenkisten-Blog dem gesamten Team eine deutsche Mutant-Future-Ausgabe zu erstellen und wandte sich per E-Mail auch an die betreffenden Verlagsverantwortlichen hierzulande. – Und auch für eine deutsche RoCC-Ausgabe sieht es nicht gut aus.

Man stelle sich das einmal bildlich vor: Ein Team an mehr als einem halben Dutzend hochmotivierter Fans hat schon viele, viele Stunden in Vorarbeiten investiert, sich mit Elan um das Übersetzungsprojekt gekümmert, Verhandlungen geführt, Organisatorisches geklärt – und ALLES KOSTENLOS!

Die Leute arbeiten arbeiteten freiwillig, unbezahlt, aus purem Enthusiasmus.

Nun „verplappert“ sich EINER aus dem Team in EINEM Kommentar in einem Blog und DAS GESAMTE TEAM wird BESTRAFT!

Das ist wahrlich KEIN Ruhmesblatt für den Menschen Dan Proctor.

Wir waren alle am Wochenende schwer angeschlagen. Moritz natürlich sehr, weil er ja weiterhin mit Dan Projekte machen möchte und seine gute, enge Beziehung nicht gefährdet sehen möchte. Kann ich voll nachvollziehen. – Aber auch alle anderen im Team, die schon wirklich viel Vorarbeitsaufwände reingesteckt hatten und sich auf die eigentliche produktive Phase gefreut hatten, andere Verpflichtungen dafür abgesagt, Zeit freigehalten und Herzblut gespendet hatten.

Ratet mal, wie ich das finde…

Nuked back to yesteryear

Auf jeden Fall ist das alte MF-DE-Team nicht etwa nur „back to square one“, sondern OHNE Boden. Wir sind nun ein Haufen Leute, die GERNE ein neues Projekt, gerne auch ein Endzeit-mit-Spaß-Projekt, machen würden, aber wir sind noch weiter zurückgeworfen, als vor der MF-DE-Teamfindung letztes Jahr. Jetzt ist erst einmal eine Art Brainstorming angesagt, was wir denn nun überhaupt machen könnten, was wir machen wollten, usw.

Ich finde den hierzulande historisch recht belasteten Begriff „Sippenhaft“ in diesem Falle durchaus angebracht.

So dermaßen UNFAIR und GEMEIN habe ich noch keine Behandlung eines kostenlos arbeitenden Freiwilligen-Teams erlebt.

(Hier möchte ich auf einen interessanten Artikel verweisen, der die Mimosenhaftigkeit und die nachfolgende Brutalreaktion zu erklären vermag: Dunning-Kruger-Effekt)